Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
PROLOG: WARUM DIESES BUCH?
„Papi, was machst du?“ Mein fünfjähriger Sohn kann offenbar keine Tätigkeit bei mir erkennen, die ununterbrochene Konzentration rechtfertigt, und klettert neben mir auf das Sofa. „Ich denke nach, wie ein Elektron funktioniert.“ „Willst du nicht lieber mit meinem Lastwagen spielen?“ „Schau mal, sogar der funktioniert nur mit Elektronen!“, antworte ich, obwohl ich mir insgeheim wünsche, das lärmende Batteriespielzeug täte es nicht. „Was ist ein Elektron?“ „Ein sehr, sehr kleines Teilchen.“ Er ist nicht vollkommen zufrieden mit meiner Antwort. „So wie die da?“ Er deutet auf die Kügelchen eines Baukastens, die auf dem Boden herumliegen. „So ungefähr, nur noch viel kleiner. Der Lastwagen will jetzt bestimmt die Kugeln einsammeln.“
Ich ließ mich zu dieser Antwort hinreißen, obwohl ich wusste, dass sie nicht ganz stimmte. Kugelförmig ist ein Elektron ja eben nicht, und genau dies bringt mich des Öfteren ins Grübeln. Gerade bei den einfachen Fragen stößt unser Wissen erstaunlich schnell an Grenzen, und vielleicht hing ja meine ausweichende Antwort auch damit zusammen, dass ich nicht ganz zugeben wollte, von dem Aussehen des einfachsten Teilchens im Universum eigentlich keine Ahnung zu haben.
Ernüchternd ist, dass sogar die Begründer der modernen Physik wie Albert Einstein oder Erwin Schrödinger diese Rätsel nicht lösen konnten, und doch fasziniert mich die Art der Fragestellung, mit der beispielsweise Paul Dirac an solche fundamentalen Probleme heranging. Daher möchte ich Ihnen in diesem Buch auch ein paar wenig bekannte Überlegungen dieser großen Physiker nahebringen, die ich hochinteressant finde. Ihre berühmten Entdeckungen wie die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie sind die Basis der modernen Physik geworden, und es ist erfreulich, dass diese Erkenntnisse in populären Büchern verständlich aufbereitet werden. Nicht wenige allerdings schießen dabei etwas über das Ziel hinaus. So mancher Leser fühlt sich überfordert, wenn er direkt nach Einsteins Theorien ohne Vorwarnung in die bizarre Welt von Parallelwelten und Extradimensionen entführt wird, in denen sich angeblich Superstrings oder Branen befinden. Ja nicht genug damit, unser Kosmos, wie man staunend erfährt, sei nur einer in einem Blasen-Multiversum, entstanden in einer Phase von ‚chaotischen‘ und ‚ewigen‘ Inflationen, und gehorche einem ‚holografischen‘ oder ‚anthropischen‘ Prinzip. Wird dann auch noch fein angedeutet, der Leser sei an seiner intellektuellen Grenze, wenn er sich außerstande sieht, in die Zusatzdimensionen zu folgen, dann möchte ich doch energisch zur Vernunft ermutigen: Ich halte all jene Konzepte für blanken Unsinn und habe dies auch ziemlich unverblümt in meinem Buch Vom Urknall zum Durchknall – die absurde Jagd nach der Weltformel dargelegt. Und dort, wo überhaupt nichts mehr überprüfbar ist, bereitete es mir auch ein gewisses Vergnügen, mich über pseudowissenschaftlichen Unfug lustig zu machen.
So glaubte ich, die Auswüchse der Theoretischen Physik in einem Blog „Durchknall des Monats“ zu kommentieren sei ein Spaß. Bald jedoch wurde es mir zur Last: „Holografisches Technicolor-Wandern von D-Branen“ oder „Desensibilisierung der Inflation von der Planckskala“ – so etwas verliert nicht nur seinen Reiz als Realsatire, wenn man es massenweise liest, sondern wird deprimierend, weil elementare Fragen der Physik, die mich viel mehr interessieren, in dieser Flut vollkommen untergehen: Warum ist die Gravitationskraft so schwach? Ändern sich jene geheimnisvollen Werte, die wir für Naturkonstanten halten? Woher kommt die Masse? Warum kann ein Elektron nicht kugelförmig sein?
Wenn man über diese tief verwurzelten Probleme nachdenken will, kann man nicht gleichzeitig jedes unsinnige Gewächs kommentieren. Aber wie konnte die Physik überhaupt zu so einem Acker werden? Wie konnte sie sich so verlaufen? Diese Frage führte mich zu der irritierenden Erkenntnis, dass ein Grundübel auch in den als seriös geltenden Gebieten der Experimentalphysik am Werk ist: Meinungen, die man im Kern nicht überprüfen kann, aber sich wie der Wind verbreiten.
Wir hören beinahe täglich von der Jagd nach dem Higgs-Teilchen, von Spuren der Dunklen Materie und verschiedenen Neutrinosorten, und diese gefeierten Beobachtungen markieren scheinbar einen raschen Fortschritt unserer Erkenntnis. Wenn man aber in der Euphorie besonnen
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