Sherry Thomas
dass ich die
letzten beiden Wochen in der Stadt verbracht hätte. Der Rest der Welt gibt
damit an, dass er den August zur Moorhuhnjagd in Schottland weilte oder um die
Isle of Wight gesegelt ist.
Ich freue mich ungeheuer auf Dich
morgen. Wenn wir doch schon verheiratet wären!
Wie stets mit tausend liebevollen
Gedanken
Auf immer Dein
Freddie
Camdens Abreise blieb nicht unbemerkt.
Innerhalb von sechsunddreißig Stunden wusste ganz London darüber Bescheid, dass
er gepackt hatte und verschwunden war. Mit der Mund-zu-Mund-Propaganda der
Stadt konnten weder Telegrafenamt noch Telefon mithalten.
Was hatte das wohl zu bedeuten? Das
fragte sich alle Welt. Hatte Lady Tremaine ihre Schlacht gewonnen? Hatte Lord
Tremaine die Gefechtsposition endgültig aufgegeben? Oder hatte er seine Armeen
nur zeitweilig abgezogen, um dann erneut in Stellung zu gehen?
Gigi wand sich bei Fragen geschickt
heraus, und wenn das nicht ging, log sie den Leuten offen ins Gesicht. Lord
Tremaine teile ihr seine persönlichen Pläne üblicherweise nicht mit. Nein, sie
habe keine Ahnung, was er nun vorhatte, keine Ahnung, keine Ahnung, keine
Ahnung. Ja, sie sei selbst ganz neugierig.
Die Scheidungspapiere wurden
aufgesetzt, und es fehlte nur noch ihre Unterschrift. Gigi wies die Anwälte an,
die Sache vorübergehend ruhen zu lassen. Goodman erkundigte sich, ob die
Einrichtung in Camdens Schlafzimmer wieder fortgeschafft, abgedeckt oder
täglich poliert werden sollte. Sie befahl ihm, alles so zu lassen, wie es war.
Ihre Mutter schickte ihr Telegramme, die so häufig eintrafen und so wortreich
waren, dass sie ein kleines Vermögen kosten mussten. Gigi ignorierte sie
ausnahmslos.
Allerdings konnte sie Freddie nicht
einfach so ignorieren. Freddie – der stets wunderbar geduldig gewesen war –
wurde offensichtlich immer unglücklicher. Noch immer nichts Neues von Lord
Treuraines Anwälten?, fragte er bei jedem Treffen mit ihr. Ich wünschte
so sehr, wir könnten endlich heiraten. Sofort. Es klang mit jedem Mal
eindringlicher, fast panisch. Und sie gab ihm jedes Mal dieselbe vorsichtige
und mit Bedacht formulierte Antwort – wofür sie sich jedes Mal mehr hasste.
Krösus war der Einzige, der ihr
keine Fragen stellte, die sie nicht beantworten konnte. Doch seit Camdens Abreise
wirkte er niedergeschlagen und verlassen. Immer wieder fand sie ihn im
Wintergarten, wo er neben Camdens Rattansessel mit den blau gemusterten Kissen
und den Brandlöchern in den gepolsterten Armlehnen ein Schläfchen machte. Es
hatte ganz den Anschein, als wartete Krösus auf die Rückkehr seines Herrn.
Diese heikle Situation nicht
eskalieren zu lassen war ungefähr so, wie mit brennenden Säbeln zu jonglieren.
Gigi erwachte morgens zerschlagen und ging abends todmüde zu Bett: der Neugier
tausender Bekannter auszuweichen, sich gleichzeitig vor ihrer Mutter zu
verstecken, Freddie bei Laune zu halten und sich dabei nicht einmal ihren wenigen
engen Freunden anzuvertrauen – das strengte schon ungeheuer an.
Das Ende der Saison half da leider
wenig. In diesen Tagen der Eisenbahn reiste es sich inzwischen so schnell,
dass auch der Rückzug nach Briarmeadow ihr keine sichere Zuflucht bot. An
jedem Wochenende gab Gigi eine dreitägige Hausparty, damit sie und Freddie
einander sehen konnten, ohne den Anstand zu verletzen. Dadurch schwirrte ihr
Haus regelmäßig vor Menschen. Ströme brennender Neugier wallten auf und
ergossen sich über sie, was Gigi ungefähr so wütend machte wie eine Katzenmutter,
deren Jungen man zu nahe kam. Und den armen Freddie trieb das alles zur
Verzweiflung.
Natürlich war ihr bewusst, dass sie
versuchte, den Moment der Entscheidung hinauszuzögern, den Moment, in dem sie
entweder Freddie heiratete oder sich schließlich der Tatsache stellte, dass ihr
diese Ehe leider unmöglich war. Und das, obwohl Camden in diesem ganzen Durcheinander
gar nicht mehr selbst mitmischte.
Doch wie sollte sie Freddie das
beibringen? Er war immer ein so treuer Freund gewesen, hatte ihr nie die
Schuld an dem ganzen Chaos gegeben, weder offen noch durch Andeutungen.
Stattdessen stand er ihr mutig und liebevoll zur Seite und ertrug dabei den
bösen Klatsch, der ihn entweder zu einem Esel stempelte oder aber behauptete,
er wäre nur hinter dem Geld seiner Zukünftigen her.
Gigi hatte ihm so viel zu verdanken
und fühlte sich sehr verpflichtet. Er verdiente eine Medaille für seine Unterstützung,
hatte alles für sie getan, war ihr Sancho Panza im Kampf gegen die
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