Sich vom Schmerz befreien
Vorgänge in der Hormonproduktion, in der Muskelaktivität, bei der Sauerstoffversorgung, beim Blutdruck und der Pulsfrequenz, bei der Atmung, Verdauung und Aktivierung der SchweiÃdrüsen, ebenso Sexualfunktionen und das Immunsystem. Stress zeigt sich immer auch auf der psychischen Ebene, etwa in Form von Angst und Panik sowie durch Denkblockaden und Veränderungen in der Wahrnehmung.
Im bereits charakterisierten, linear-kausalen Denken in der »Maschinenmedizin« wird nun untersucht, wie durch diese objektiven Stressreaktionen der Organismus funktionell beeinträchtigt und strukturell »geschädigt« wird, das heiÃt durch welche Stressarten welche Krankheiten entstehen: Stressbedingte Muskelspannungen haben mit degenerativen Veränderungen und Schmerzen zu tun (Genaueres dazu im nächsten Kapitel); erhöht der Stress den Blutdruck, trägt dies zu kardiologischen
Krankheiten bei; psychischer Stress ist eine Ursache für psychische Erkrankungen. Die jeweiligen Krankheiten werden entspannungstherapeutisch mitbehandelt: In der Psychotherapie werden dementsprechend ergänzend Methoden zur Muskelentspannung eingesetzt, und bei der Behandlung körperlicher Erkrankungen helfen Psychologen, psychische Spannungen abzubauen. Auch können unbewusste Spannungen durch die willkürliche Veränderung bewusster Spannungen beseitigt werden, wie dies etwa im Autogenen Training geschieht. All diese Methoden - auch alternative - erfolgen jedoch in der Anwendung nach wie vor sehr »mechanisch«.
Darüber hinaus stehen Stress vermeidende MaÃnahmen hoch im Kurs: »Psychologische Stressbewältigung«, »Gesundheits- und Fitnesssport« oder »gesunde Ernährung« sind längst fester Bestandteil unserer Medizin, ja unserer gesamten »Gesundheits-Kultur«. Im naturwissenschaftlichen Denken geht man dabei erst einmal davon aus, dass dieselben Interventionen in jedem Organismus dasselbe bewirken. Ist dies nicht der Fall, hat man die »Maschine« eben noch nicht ausreichend untersucht. Im nächsten Kapitel werden wir erfahren, dass Stress und Spannung auch im »Maschinenmodell« zur Erklärung der Schmerzentstehung und - wie Sie als Schmerzpatient sicherlich selbst wissen - in unserer gängigen Schmerztherapie eine wichtige Rolle spielen.
Stress = Spannungsverhalten
Aus den eben genannten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ergibt sich auch eine andere Sichtweise von Stress. Bereits der Vater der Stressforschung, Hans Selye, hat Stress als individuelle Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird, auf jede (objektive, erlebte oder auch erwartete) körperliche und/oder psychische Belastung definiert. Um das individuelle Verhalten hervorzuheben, mit dem sich der Organismus
vor Schaden bewahrt, gebrauche ich hier jedoch statt »Stress« lieber das Wort »Spannung«. Die Frage ist nun: Wie kann Spannung zum Problem, zum zentralen Bestandteil jeder Störung der Gesundheit und des Wohlbefindens werden? Wie kann Spannung bestimmen, wie die Störung aussieht, wie schnell wir gesund werden und uns erholen, wie belastbar und leistungsfähig wir sind und wie es uns dabei geht? Und: Wie kann jede Krankheit als Spannungsproblem interpretiert werden? Wird ein Vorgang im Organismus oder ein Reiz aus der Umwelt als Bedrohung und Belastung erlebt, reagieren, wie am Bananenbeispiel (S. 40) beschrieben, die unteren Ebenen des Nervensystems mit Muskelaktivitäten.
Muskelspannung ist die grundlegende Stressreaktion. Zu Beginn unseres Lebens, wenn die höheren Funktionen des Gehirns, speziell der GroÃhirnrinde, noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, sind unsere Spannungsreaktionen zunächst Muskelreflexe, die unmittelbar an Emotionen (vor allem Angst) gekoppelt sind. Die Forschung hat auch ihre biochemischen Grundlagen (z.B. Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol) ausführlich untersucht und beschreibt spezifische Abläufe. Da gibt es zum Beispiel den »Stopp-Reflex«, eine Bewegung weg von der Gefahr, oder den »Start-Reflex«, der die Skelettmuskeln organisiert, um ihr entgegenzutreten. Andere Muskelspannungen sind vegetative Stressreaktionen der Herz- oder Atemmuskulatur. Doch auch der Ablauf dieses grundlegenden Spannungsverhaltens sieht bei jedem anders aus - sie ist abhängig von den jeweiligen Erfahrungen und Lebensbedingungen.
Und diese Lernprozesse beginnen bereits im Mutterleib, wenn das
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