Sich vom Schmerz befreien
Stressverhalten der werdenden Mutter unmittelbar zu Reaktionen des Embryos führt. (So wurde festgestellt, dass dieser mit Hyperaktivität reagiert und sich deutlich mehr bewegt, wenn die Mutter Angst empfindet.) Bereits hier werden also erste individuelle »Trampelpfade« (S. 33 f.) angelegt und grundlegende Ãberlebensfunktionen »gelernt«. Mit der Entwicklung
des Gehirns spielen nach und nach die Anforderungen der Gesellschaft, die Verhaltensweisen anderer Menschen, das eigene bewusste Verhalten und die sich daraus ergebenden Belastungen eine immer gröÃere Rolle.
Und so werden zunehmend hohe Anforderungen und Erwartungen, Konflikte, Zwänge, Unsicherheitsgefühle und vor allem Ãngste zum Auslöser von Stressreaktionen. Und auch wenn es sich hier im Erleben um »psychischen Stress« handelt: Stets sind Körperreaktionen die Basis, allen voran Muskelspannungen. Stress betrifft also, wie jedes Verhalten, immer das gesamte System - von der vollkommen unbewussten Aktivität der einzelnen Nervenzelle bis hin zum willentlichen Verhalten der GroÃhirnrinde. Dabei entwickelt jeder Mensch sein individuelles Spannungsverhalten, ein Prozess, der in seinem Verlauf und seiner Ausprägung nicht vorhergesagt werden kann. Auf den »höheren« Ebenen des Gehirns wird natürlich die Individualität des Spannungsverhaltens nicht in Frage gestellt, jedoch muss man sich der Einzigartigkeit auch der »angeborenen« Bereiche des Nervensystems bewusst sein. Dabei ist es wohl vor allem das Stressverhalten eines Organismus, auf das rückwirkend auch Gene mit Veränderung reagieren.
»Teufelsspiralen«
Spannung bedeutet, dass das Zusammenspiel der einzelnen Bereiche des Nervensystems (linke und rechte Gehirnhälfte, limbisches System und GroÃhirnrinde, vegetatives und zentrales Nervensystem, Körper und Psyche) nicht aufeinander abgestimmt erfolgt, es ist »aus dem Gleichgewicht«. Doch wie entsteht daraus eine Krankheit? Nachdem durch eine Stressreaktion die Belastung bzw. Gefährdung kompensiert wurde, wird das Verhalten wieder wie zuvor gesteuert - wenn sich auch, wie wir nun wissen, im Funktionieren des Nervensystems etwas geändert hat und die »Landkarte« mit den Wegen
durch den Schnee anders aussieht: Die Reaktion hat eine etwas »tiefere Spur« hinterlassen, sodass das Spannungsverhalten beim nächsten Mal leichter ausgelöst wird. Bei jeder Belastung gräbt es sich sozusagen immer tiefer ein, denn die Plastizität des Nervensystems bedeutet, dass es sich strukturell anpasst, sodass das Stressverhalten immer effizienter wird. Somit sind Belastungen wichtig für die Entwicklung des Gehirns und seiner Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden.
Doch da jede Spannungsreaktion, so sinnvoll und notwendig sie im Moment auch sein mag, eine »Notlösung« darstellt, währenddessen sich das Gehirn nicht »harmonisch« verhält, ist diese Notlösung für den Organismus ebenfalls eine mehr oder weniger groÃe Belastung. Ist diese sehr intensiv (traumatisch), wird sie immer wieder und lang anhaltend ausgelöst, werden die Symptome stärker. Es kommen neue hinzu, die erneut bedrohlich und belastend sind, und das Nervensystem produziert neue Spannungen, sozusagen um sich gegen sein eigenes Schutzverhalten zu schützen. Diese können sich auf die gleiche Weise äuÃern und das Problem verstärken oder an anderer Stelle und auf andere Art zum Ausdruck kommen - vor allem wenn weitere Belastungen hinzukommen.
Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels veranschaulichen, wie ich es täglich in meiner Praxis erlebe: Ein Mensch übt seit vielen Jahren einen Beruf aus, der körperliche Belastungen mit sich bringt. Allmählich entsteht bei ihm ein Problem mit seinem Rücken, der ihm nach bestimmten Tätigkeiten wehtut. Schmerzen sind eine Belastung, auf die er mit Spannung reagiert. Diese betrifft die Muskulatur und zeigt sich in Verhärtungen, Schonhaltungen und Ausweichbewegungen. Da von dem Verhalten »Spannung« immer alle Bereiche des Nervensystems betroffen sind, zeigt es sich auch in anderen Formen, ohne dass es dabei zunächst zu Problemen kommt. So steigt durch die vermehrte Muskelarbeit beispielsweise der
Blutdruck leicht an. Spannungen in der Rückenmuskulatur und Schmerzen führen so zu erhöhten und kompensatorischen Muskelspannungen und Fehlhaltungen sowie zu
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