Sich vom Schmerz befreien

veränderten und belastenden Bewegungsausführungen. Wegen der Plastizität folgen strukturelle Veränderungen (»Verschleiß«) und somit weitere Belastungen, Spannungen und Schmerzen. Wenn sich dies in weiteren Blutdruckreaktionen zeigt, kann auch dieser zum Problem werden, das als zusätzliche Belastung wiederum die Muskelspannungen im Rücken und damit den Schmerz verstärkt - die Teufelsspirale beginnt.
    Wegen der Schmerzen kann der Betroffene öfter seine berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben. Da sich Spannung immer auch psychisch, allen voran durch Angst zeigt, kann diese ebenfalls zur Belastung werden, etwa weil man nach einer schmerzvollen Zeit schon Angst vor dem nächsten Mal hat oder weil man fürchtet, seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder als »Versager« gesehen zu werden. Die Spannung steigt, was wiederum die körperlichen Probleme verschlimmert: stärkere Schmerzen und steigender Blutdruck, aber auch Probleme, die zum Beispiel die Verdauung, Atmung oder Drüsenaktivitäten betreffen. Natürlich kann sich das Ganze auch auf der psychischen Ebene als Problem manifestieren, zum Beispiel als »Angststörung« oder »depressive Reaktion«. Alles in allem gilt: Bewusste und unbewusste, willentlich gesteuerte und automatisch ablaufende, körperliche und psychische Vorgänge werden aneinander gekoppelt, lösen sich gegenseitig aus, verstärken und kompensieren sich, beeinflussen gegenseitig ihren Rhythmus. Spannungen werden immer leichter ausgelöst, je tiefer sie »eingegraben sind«, sogar von Reizen, die dem ursprünglichen Belastungsreiz ähnlich oder nur ein Teil von ihm sind. Letztendlich kann so ein Organismus lernen, auf jeden Reiz mit Spannung und damit Problemen zu reagieren, selbst auf solche, die objektiv keine Belastung darstellen und die Reaktion nicht erforderlich machen.

    Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte »Wetterfühligkeit« bei Menschen, die auf einen unbewusst wahrgenommenen Reiz, die Veränderung des Luftdrucks vor einem Wetterumschwung, mit Spannung und Kopfschmerzen reagieren. Die so entstehenden funktionellen und strukturellen Veränderungen führen zu neuen Reaktionen und Symptomen usw. Das System befindet sich in einer »Teufelsspirale«, aus der es eventuell selbst nicht mehr herausfindet und welches zu »chronischen«, »komplexen«, »psychosomatischen« und »unheilbaren« Krankheiten, Schädigungen und Störungen führt. Diese können nicht linear-kausal als Folge einer oder mehrerer Ursachen und deren Zusammenspiel erklärt werden. Ihre Basis ist ein Spannungsverhalten. In diesem Verständnis lässt sich jede Krankheit auf Muskelspannung zurückführen. Dies mag an dieser Stelle noch ein wenig schematisch klingen, wird jedoch greifbarer, wenn ich in Kapitel 3 konkret auf Schmerzen als aktives Verhalten im Zusammenhang mit Spannungsproblemen eingehe.
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    Unsere naturwissenschaftliche Medizin versucht an dieser Stelle durch »mechanische« Eingriffe von außen - medizinische, körper- und psychotherapeutische - die »Maschine« wieder zum Laufen zu bringen. Doch immer mehr gesundheitliche Probleme können auf diese Weise nicht gelöst werden. Ein Patient trifft auf immer mehr Experten, die ihre Bemühungen addieren. Was bleibt, sind wiederkehrende Operationen und medikamentöse Symptombetäubung, ergänzt durch weitere mechanische Therapien und Behandlungen. Eventuell wird der Patient auch psychologisch unterstützt, zu »lernen, mit der Krankheit zu leben«. Wir werden im nächsten Kapitel solch einem Patienten begegnen und ihn auf seiner »schmerztherapeutischen Reise« begleiten.
    Betrachtet man das Ganze aus der Spannungsperspektive, stellt jeder Eingriff von außen ebenfalls einen Reiz (und evtl.
eine Belastung) dar, auf den der Organismus reagiert. Er bezieht sich in der Regel auf ein Symptom, eine bestimmte objektive Gegebenheit, einen Prozess bzw. Verhaltensvorgang. Die weitreichenden Auswirkungen des Eingriffs auf das Funktionieren aller anderen Vorgänge im Organismus werden dabei kaum berücksichtigt - was aufgrund der Unvorhersagbarkeit und Individualität vielleicht auch gar nicht möglich ist. Man muss also darauf vertrauen, dass alle anderen Vorgänge mit einer Behandlung im Gleichgewicht bleiben oder ins Gleichgewicht finden. Jedenfalls ändert sich durch jeden reparierenden