Siddharta
mühen, sah sie leiden und grau werden um Dinge, die ihm dieses Preises ganz unwert schienen, um Geld, um kleine Lust, um kleine Ehren, er sah sie einander schelten und beleidigen, er sah sie um Schmerzen wehklagen, über die der Samana lächelt, und unter Entbehrungen leiden, die ein Samana nicht fühlt.
Allem stand er offen, was diese Menschen ihm zubrachten. Willkommen war ihm der Händler, der ihm Leinwand zum Kauf anbot, willkommen der Verschuldete, der ein Darlehen suchte, willkommen der Bettler, der ihm eine Stunde lang die Geschichte seiner Armut erzählte, und welcher nicht halb so arm war als ein jeder Samana. Den reichen ausländischen Händler behandelte er nicht anders als den Diener, der ihn rasierte, und den Strassenverkäufer, von dem er sich beim Bananenkauf um kleine Münze betrügen liess. Wenn Kamaswami zu ihm kam, um über seine Sorgen zu klagen oder ihm wegen eines Geschäftes Vorwürfe zu machen, so hörte er neugierig und heiter zu, wunderte sich über ihn, suchte ihn zu verstehen, liess ihn ein wenig recht haben, ebensoviel als ihm unentbehrlich schien, und wandte sich von ihm ab, dem Nächsten zu, der ihn begehrte. Und es kamen viele zu ihm, viele, um mit ihm zu handeln, viele, um ihn zu betrügen, viele, um ihn auszuhorchen, viele, um sein Mitleid anzurufen, viele, um seinen Rat zu hören. Er gab Rat, er bemitleidete, er schenkte, er liess sich ein wenig betrügen, und dieses ganze Spiel und die Leidenschaft, mit welcher alle Menschen dies Spiel betrieben, beschäftigte seine Gedanken ebensosehr, wie einst die Götter und das Brahman sie beschäftigt hatten. Zuzeiten spürte er, tief in der Brust, eine sterbende, leise Stimme, die mahnte leise, klagte leise, kaum dass er sie vernahm. Alsdann kam ihm für eine Stunde zum Bewusstsein, dass er ein seltsames Leben führe, dass er da lauter Dinge tue, die bloss ein Spiel waren, dass er wohl heiter sei und zuweilen Freude fühle, dass aber das eigentliche Leben dennoch an ihm vorbeifliesse und ihn nicht berühre. Wie ein Ballspieler mit seinen Bällen spielt, so spielte er mit seinen Geschäften, mit den Menschen seiner Umgebung, sah ihnen zu, fand seinen Spass an ihnen; mit dem Herzen, mit der Quelle seines Wesens war er nicht dabei. Die Quelle lief irgendwo, wie fern von ihm, lief und lief unsichtbar, hatte nichts mehr mit seinem Leben zu tun. Und einigemal erschrak er ob solchen Gedanken und wünschte sich, es möge doch auch ihm gegeben sein, bei all dem kindlichen Tun des Tages mit Leidenschaft und mit dem Herzen beteiligt zu sein, wirklich zu leben, wirklich zu tun, wirklich zu geniessen und zu leben, statt nur so als ein Zuschauer daneben zu stehen.
Immer aber kam er wieder zur schönen Kamala, lernte Liebeskunst, übte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo Geben und Nehmen zu einem wird, plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr Rat, empfing Rat. Sie verstand ihn besser, als Govinda ihn einst verstanden hatte, sie war ihm ähnlicher.
Einmal sagte er zu ihr: »Du bist wie ich, du bist anders als die meisten Menschen. Du bist Kamala, nichts andres, und in dir innen ist eine Stille und Zuflucht, in welche du zu jeder Stunde eingehen und bei dir daheim sein kannst, so wie auch ich es kann. Wenige Menschen haben das, und doch könnten alle es haben.«
»Nicht alle Menschen sind klug«, sagte Kamala.
»Nein«, sagte Siddhartha, »nicht daran liegt es. Kamaswami ist ebenso klug wie ich, und hat doch keine Zuflucht in sich. Andre haben sie, die an Verstand kleine Kinder sind. Die meisten Menschen, Kamala, sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn. Unter allen Gelehrten und Samanas, deren ich viele kannte, war einer von dieser Art ein Vollkommener, nie kann ich ihn vergessen. Es ist jener Gotama, der Erhabene, der Verkünder jener Lehre. Tausendjünger hören jeden Tag seine Lehre, folgen jeder Stunde seiner Vorschrift, aber sie alle sind fallendes Laub, nicht in sich selbst haben sie Lehre und Gesetz.«
Kamala betrachtete ihn mit Lächeln. »Wieder redest du von ihm«, sagte sie, »wieder hast du Samanagedanken.«
Siddhartha schwieg, und sie spielten das Spiel der Liebe, eines von den dreissig oder vierzig verschiedenen Spielen, welche Kamala wusste. Ihr Leib war biegsam wie der eines Jaguars und wie der Bogen eines Jägers; wer
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