Siddharta
noch nicht wisse, das noch auf ihn warte. In diesem Fluss hatte sich Siddhartha ertränken wollen, in ihm war der alte, müde, verzweifelte Siddhartha heute ertrunken. Der neue Siddhartha aber fühlte eine tiefe Liebe zu diesem strömenden Wasser und beschloss bei sich, es nicht so bald wieder zu verlassen.
Der Fährmann
An diesem Fluss will ich bleiben, dachte Siddhartha, es ist derselbe, über den ich einstmals auf dem Wege zu den Kindermenschen gekommen bin, ein freundlicher Fährmann hat mich damals geführt, zu ihm will ich gehen, von seiner Hütte aus führte mich einst mein Weg in ein neues Leben, das nun alt geworden und tot ist - möge auch mein jetziger Weg, mein jetziges neues Leben dort seinen Ausgang nehmen!
Zärtlich blickte er in das strömende Wasser, in das durchsichtige Grün, in die kristallenen Linien seiner geheimnisreichen Zeichnung. Lichte Perlen sah er aus der Tiefe steigen, stille Luftblasen auf dem Spiegel schwimmen, Himmelsbläue darin abgebildet. Mit tausend Augen blickte der Fluss ihn an, mit grünen, mit weissen, mit kristallnen, mit himmelblauen. Wie liebte er dies Wasser, wie entzückte es ihn, wie war er ihm dankbar! Im Herzen hörte er die Stimme sprechen, die neu erwachte, und sie sagte ihm: Liebe dies Wasser!
Bleibe bei ihm! Lerne von ihm! O ja, er wollte von ihm lernen, er wollte ihm zuhören. Wer dies Wasser und seine Geheimnisse verstünde, so schien ihm, der würde auch viel anderes verstehen, viele Geheimnisse, alle Geheimnisse. Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu! Oh, wer dies fasste, dies verstünde! Er verstand und fasste es nicht, fühlte nur Ahnung sich regen, ferne Erinnerung, göttliche Stimmen. Siddhartha erhob sich, unerträglich wurde das Treiben des Hungers in seinem Leibe. Hingenommen wanderte er weiter, den Uferpfad hinan, dem Strom entgegen, lauschte auf die Strömung, lauschte auf den knurrenden Hunger in seinem Leibe.
Als er die Fähre erreichte, lag eben das Boot bereit, und derselbe Fährmann, welcher einst den jungen Samana über den Fluss gesetzt hatte, stand im Boot, Siddhartha erkannte ihn wieder, auch er war stark gealtert.
»Willst du mich übersetzen?« fragte er.
Der Fährmann, erstaunt, einen so vornehmen Mann allein und zu Fusse wandern zu sehen, nahm ihn ins Boot und stiess ab.
»Ein schönes Leben hast du dir erwählt«, sprach der Gast.
»Schön muss es sein, jeden Tag an diesem Wasser zu leben und auf ihm zu fahren.«
Lächelnd wiegte sich der Ruderer: »Es ist schön, Herr, es ist, wie du sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schön?«
»Es mag wohl sein. Dich aber beneide ich um die deine.«
»Ach, du möchtest bald die Lust an ihr verlieren. Das ist nichts für Leute in feinen Kleidern.«
Siddhartha lachte. »Schon einmal bin ich heute um meiner Kleider willen betrachtet worden, mit Misstrauen betrachtet. Willst du nicht, Fährmann, diese Kleider, die mir lästig sind, von mir annehmen? Denn du musst wissen, ich habe kein Geld, dir einen Fährlohn zu zahlen.«
»Der Herr scherzt«, lachte der Fährmann.
»Ich scherze nicht, Freund. Sieh, schon einmal hast du mich in deinem Boot über dies Wasser gefahren, um Gotteslohn. So tue es auch heute, und nimm meine Kleider dafür an.«
»Und will der Herr ohne Kleider Weiterreisen?«
»Ach, am liebsten wollte ich gar nicht Weiterreisen. Am liebsten wäre es mir, Fährmann, wenn du mir eine alte Schürze gäbest und behieltest mich als deinen Gehilfen bei dir, vielmehr als deinen Lehrling, denn erst muss ich lernen, mit dem Boot umzugehen.«
Lange blickte der Fährmann den Fremden an, suchend.
»Jetzt erkenne ich dich«, sagte er endlich. »Einst hast du in meiner Hütte geschlafen, lange ist es her, wohl mehr als zwanzig Jahre mag das her sein, und bist von mir über den Fluss gebracht worden, und wir nahmen Abschied voneinander wie gute Freunde. Warst du nicht ein Samana? Deines Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen.«
»Ich heisse Siddhartha, und ich war ein Samana, als du mich zuletzt gesehen hast.«
»So sei willkommen, Siddhartha. Ich heisse Vasudeva. Du wirst, so hoffe ich, auch heute mein Gast sein und in meiner Hütte schlafen, und mir erzählen, woher du kommst, und warum deine schönen Kleider dir so lästig sind.«
Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und
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