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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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lang vergessen sein ließ.
    Das alles fand in weit auseinanderliegenden Abständen statt, dann aber, als die Schmerzen selbst nicht zu schwinden, sondern zu erodieren begannen (wie der Pfahl am Revere Beach mittlerweile erodiert sein musste, dachte er, denn nichts währt ewig - auch wenn das Kind, das er einst gewesen war, über eine solche Häresie gespottet haben würde), begannen die äußeren Dinge zunehmend rascher einzuwirken, bis schließlich die wirkliche Welt, mit all ihrem Ballast von Erinnerungen, Erfahrungen und Vorurteilen, sich weitgehend wiederhergestellt hatte. Er war Paul Sheldon, er schrieb zwei Arten von Romanen, gute und Bestseller. Er war zweimal verheiratet gewesen, zweimal geschieden. Er rauchte zu viel (hatte er jedenfalls, bevor das alles, was immer »das alles« auch sein mochte, begonnen hatte). Etwas sehr Schlimmes war ihm zugestoßen, aber er war noch am Leben. Die dunkelgraue Wolke begann, sich schneller und schneller aufzulösen. Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis sein größter Fan ihm die alte klappernde Royal mit dem grinsenden Zahnlückenmund und der Ducky-Daddles-Stimme brachte, aber Paul begriff schon lange vorher, dass er in einem verfluchten Schlamassel steckte.

4
    Der vorausschauende Teil seines Verstandes sah sie schon, bevor er wusste, dass er sie sah, und musste sie bereits verstanden haben, bevor er wusste, dass er sie verstand - weshalb sonst hätte er so harte, unheilvolle Bilder mit ihr assoziiert? Wann immer sie das Zimmer betrat, musste er an die Gottheiten denken, welche von abergläubischen Afrikanern in den Romanen von H. Rider Haggard angebetet wurden, und an Steine, und an Untergang.
    Die Vorstellung von Annie Wilkes als afrikanisches Götzenbild aus Sie oder König Salomons Diamanten war albern und auf seltsame Weise zutreffend zugleich. Sie war eine große Frau, die, abgesehen von der beachtlichen, aber abweisenden Rundung ihres Busens unter dem grauen Strickpullover, den sie immer trug, überhaupt keine weiblichen Kurven zu haben schien - keine konturierte Rundung von Hüften oder Pobacken oder auch nur Waden unter der endlosen Abfolge von Wollröcken, die sie im Haus trug (sie zog sich in ihr unsichtbares Schlafzimmer zurück und zog Jeans an, wenn sie Arbeiten draußen zu erledigen hatte). Ihr Körper war groß, jedoch nicht großzügig. Sie vermittelte ein Gefühl von Verklumpungen und Barrieren anstatt von einladenden Öffnungen oder gar offenen Stellen oder Nischen.
    Am meisten aber vermittelte sie ihm das beunruhigende Gefühl von Festigkeit , als besäße sie keinerlei Blutgefäße oder innere Organe; als wäre sie nur von einer Seite zur anderen und von oben bis unten eine massive Annie Wilkes. Mehr und mehr war er davon überzeugt, dass ihre Augen, die sich zu bewegen schienen, lediglich aufgemalt
waren und sich nicht mehr bewegten als die Augen von Porträts, deren Blicke einen in dem Zimmer, in dem sie hängen, scheinbar in jeden Winkel verfolgen. Er hatte den Eindruck, würde er die ersten beiden Finger einer Hand zum V formen und in ihre Nasenlöcher bohren, so würde er kaum mehr als wenige Millimeter eindringen können, bevor er gegen ein solides (wenn auch etwas nachgiebiges) Hindernis stoßen würde, ja, dass sogar ihr grauer Strickpullover und die altmodischen Hausröcke und verblichenen Jeans für draußen Teile dieses massiven, faserigen, blutgefäßlosen Körpers waren. Daher war der Eindruck, sie könnte ein Götzenbild in einem leidenschaftlichen Roman sein, eigentlich keineswegs überraschend. Wie eine Göttin gab sie ihm nur eines: ein Gefühl des Unbehagens, welches sich zunehmend zum Entsetzen hin steigerte. Alles andere nahm sie, ebenfalls wie eine Göttin.
    Nein, Moment, das war nicht ganz fair. Sie gab in der Tat noch etwas anderes. Sie gab ihm die Tabletten, welche die Flut über die Pfähle hinwegspülen ließen.
    Die Tabletten waren die Flut; Annie Wilkes war die lunare Macht, die sie ihm in den Mund drückte wie Strandgut, das auf einer Welle angeschwemmt wurde. Alle sechs Stunden brachte sie ihm zwei, anfangs tat sich ihre Anwesenheit lediglich als ein Fingerpaar kund, welches in seinem Mund herumstocherte (und er lernte recht bald, begierig an diesen stochernden Fingern zu saugen, obschon sie einen bitteren Geschmack hatten), später dann kam sie in ihrem Strickpullover und einem von ihren halben Dutzend Röcken, für gewöhnlich mit einer Taschenbuchausgabe eines seiner Romane unter dem Arm. Nachts erschien sie ihm in

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