Sieben auf einen Streich
Ich weiß ja nicht einmal, um wieviel Uhr Schule ist.«
Die beiden Kleinen also nahmen die
Frage nicht ernst. Wir Großen aber hatten am Abend bereits die Gestaltung des
nächsten Tages im Kopf, gaben bereitwillig unsere Pläne an und trachteten
danach, sie treulich zu erfüllen.
Nur einmal hatte Michael keine Antwort
gegeben, damals, als er, aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, zum
ersten Mal wieder am elterlichen Frühstückstisch saß. Er hörte die Frage,
schüttelte den Kopf und blieb stumm. Der Glaube an die Möglichkeit, seine Tage
selbst zu gestalten, war ihm abhanden gekommen.
Jetzt allerdings, im rustikalen Hotel
beim Abendessen, fand er als erster die Sprache wieder.
»Ja also, heute abend könnten wir
gemütlich zusammensitzen und spielen. Morgen machen wir bei gutem Wetter eine
schöne Wanderung und bei schlechtem besichtigen wir Goslar und den Staudamm. Am
Abend führt jeder seine Dias vor. Ich hoffe, ihr seid einverstanden!«
Wir nickten. Erstens war er der
älteste, und zweitens hatten wir beschlossen, daß immer derjenige beim
Familientreffen das Sagen haben sollte, der das Hotel ausgesucht hatte. Also
schritten wir zum ersten Programmpunkt, und zwar mit großem Vergnügen, denn
wann immer wir Geschwister zusammenkamen, wir spielten.
Christoph marschierte mit unseren
beiden Söhnen ins Foyer, wo unter Wildschweinköpfen und Hirschgeweihen
Spielautomaten standen. Bald klingelte und klapperte es.
Wubbel, ein winziges Wichtlein, kam im
Schlafanzug die Treppe heruntergeheult.
»Wubbel tann nicht schlafen! Is solch
ein Trach!«
Vater Stefan trug ihn wieder hinauf,
nicht ohne vorher die Geschwister mit einem vorwurfsvollen Blick zu bedenken.
Gabriele eilte hinterher.
Die »Rockerbraut« hieß sie bei uns,
denn als Stefan diese seine Auserwählte zum ersten Mal ins Blickfeld der
Familie rückte, da trug sie zu engen schwarzen Hosen eine glänzend schwarze
Federjacke. Durch das schwarze Haar wand sich ein rotes Band, rot glänzten die
Lippen und rot die Fingernägel. In der Hand hielt sie ein Veilchensträußchen,
obwohl ein Tannenzweiglein besser gepaßt hätte, denn es war Weihnachtszeit und
wir saßen bei Kerzenschimmer.
Die weiblichen Familienangehörigen
rissen erschreckt die Augen auf, die Herren schürzten die Lippen zu stummem
Pfiff. Mutti sank im Lehnstuhl zurück. Stefan gab seiner Gabriele einen
aufmunternden Schubs.
»Du brauchst keine Angst zu haben, sie
sind nicht so schlimm, wie sie aussehen.«
Dann nahm er die Brille von der Nase und
begann sie zu putzen — eine Geste, die schon sein Vater angewandt hatte, um
peinliche Situationen zu überbrücken.
Die Rockerbraut brauchte seine Hilfe
nicht. Sie gewann Muttis Herz mit den Veilchen, das der Geschwister durch ihr
friedfertiges Wesen.
Ärgerlich wurde sie nur, wenn man, wie
hier geschehen, nicht wohl an ihrem Wubbel tat, ihn aus dem Schlaf aufstörte
und zum Weinen brachte. Sie sprach jedoch kein böses Wort, sondern tat nur
durch Zurückwerfen des Kopfes kund, daß sie ein solches Verhalten der Familie
nicht billige. Sie kehrte an diesem Abend auch nicht mehr zu uns zurück. Stefan
aber trieb die Spielleidenschaft und der Drang, seinen Geschwistern die Meinung
zu sagen, bald wieder die Treppen hinunter.
»Ihr seid nicht allein auf der Welt!
Schämt euch! Ihr macht einen fürchterlichen Lärm!«
Genau das schienen auch die anderen
Gäste des Hotels zu denken. Sie blickten erst befremdet, dann verärgert, und
schließlich verzogen sie sich.
Nun hatten wir genug Platz zum Spielen.
Eine Skatrunde formierte sich. Der Würfelbecher kreiste. Manfred und ich
spielten Canasta mit Gitti und Klaus-Peter, und je länger wir spielten, desto
stärker wurde der Eindruck, daß diese beiden Jungvermählten und vormals so
Verliebten nicht miteinander, sondern gegeneinander spielten.
Klaus-Peter sperrte den Kartenstapel,
wann immer dies möglich war, so daß Gitti nicht zum Zug kam. Er legte seine
Karten aus und machte Schluß, kurz bevor Gitti ihren großen Coup starten
konnte. Er strahlte schließlich wie die liebe Sonne, als er ihre Verluste
zusammenrechnete und aufschrieb. Sie litt dies alles schweigend, aber ihr Blick
wurde immer zorniger und jegliche schwärmerische Verehrung war aus ihrem Auge
gewichen. Ich sah Klaus-Peter sieghaft lächeln und Gitti leise brodelnd vor
sich hin kochen.
»Habt ihr euch eigentlich noch nie
gezankt?« Dies fragte ich, um ein Ventil zu schaffen und Schlimmeres zu
vermeiden.
»Nein, noch nie«,
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