Sieben Jahre später
hast du mir nie etwas gesagt?«
»Er hat in letzter Zeit einige Dummheiten gemacht.«
»Welche Art von Dummheiten?«
»Er wurde vor sechs Monaten von einer Patrouille dabei erwischt, wie er einen Lieferwagen in der Ikea-Halle mit Graffiti besprüht hat.« Sie trank einen Schluck Kaffee, schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Als hätten diese Idioten nichts Besseres zu tun, als Kinder zu verfolgen, die die Kunst lieben!«, schimpfte sie.
Sebastian fuhr hoch. Graffiti sollten Kunst sein? Nikki hatte wirklich eine ganz spezielle Art, die Dinge zu sehen.
»Kam er vor Gericht?«
»Ja. Er wurde zu zehn Tagen gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Aber vor drei Wochen wurde er wegen Diebstahls aus der Auslage eines Geschäfts festgenommen.«
»Was wollte er klauen?«
»Ein Videospiel. Warum? Wäre dir ein Buch lieber?«
Sebastian ging auf die Provokation nicht ein. Eine zweite Verurteilung war dramatisch. Aufgrund der Nulltoleranzstrategie konnte ein unbedeutender kleiner Diebstahl seinen Sohn ins Gefängnis bringen.
»Ich habe mir in dem Laden alle Mühe gegeben, sie von der Anzeige abzubringen«, versuchte Nikki, ihn zu beruhigen.
»Guter Gott! Was hat der Bursche nur im Kopf?«
»Das ist doch kein Weltuntergang«, erwiderte Nikki beschwichtigend. »Irgendwann hat doch jeder von uns mal etwas mitgehen lassen. In der Jugend ist das normal …«
»Es ist normal, zu stehlen?« Sebastian explodierte erneut.
»Das gehört zum Leben. Als ich jung war, habe ich Unterwäsche, Klamotten, Parfüm geklaut. Genau dabei haben wir uns übrigens auch kennengelernt, wenn ich dich daran erinnern darf.«
Das war nicht das Beste, was uns passiert ist, dachte er.
Sebastian erhob sich. Er versuchte, Bilanz zu ziehen. Mussten sie sich wirklich Sorgen machen? Wenn Jeremy schon öfter verschwunden war …
Als könnte Nikki seine Gedanken lesen, sagte sie beunruhigt: »Dieses Mal ist es ernst, Sebastian, da bin ich mir sicher. Jeremy hat gesehen, dass ich mir letztes Mal große Sorgen gemacht habe, und versprochen, mich nicht mehr ohne Nachricht zu lassen.«
»Was sollen wir dann tun?«
»Keine Ahnung. Ich habe bei den Notfallabteilungen der wichtigsten Krankenhäuser nachgefragt, ich …«
»Hast du beim Durchsuchen seines Zimmers nichts Verdächtiges gefunden?«
»Wie, beim Durchsuchen seines Zimmers?«
»Hast du oder hast du nicht?«
»Nein, das ist seine Intimsphäre. Das ist …«
»Seine Intimsphäre? Aber er ist seit drei Tagen verschwunden, Nikki!« Mit diesen Worten ging er zu der Treppe, die nach oben führte.
Kapitel 7
»Als Teenager habe ich es gehasst, wenn meine Mutter ihre Nase in meine Sachen gesteckt hat.«
Trotz ihrer Sorge widerstrebte es Nikki ganz offensichtlich, die persönlichen Dinge ihres Sohnes zu durchwühlen.
»Schnüffelst du denn in Camilles Zimmer herum?«
»Einmal pro Woche«, erwiderte Sebastian ungerührt.
»Du hast wirklich ein sehr großes Problem …«
Mag sein, aber wenigstens ist sie nicht verschwunden, dachte er und machte sich an die Arbeit.
Dank der großzügigen Anlage des Lofts war Jeremys Zimmer mehr als geräumig. Es war die Höhle eines Fünfzehnjährigen, in der unglaubliche Unordnung herrschte. An den Wänden hingen Plakate von Kultfilmen: Back to the Future , WarGames , Innerspace , Tron . Darunter lehnte ein Fahrrad. In einer Zimmerecke stand ein Arcade-Automat Donkey Kong aus den 1980er- Jahren. Im Papierkorb stapelten sich leere Verpackungen von Nuggets und Tiefkühlpizzen sowie leere Red- Bull-Dosen.
»Das ist ja ein unbeschreiblicher Saustall!«, rief Sebastian aus. »Räumt er sein Zimmer auch irgendwann einmal auf?«
Nikki warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Sie hielt einen Moment inne, dann machte sie sich an die Arbeit. Sie öffnete den eingebauten Kleiderschrank.
»Offensichtlich hat er seinen Rucksack mitgenommen«, sagte sie.
Sebastian ging an den Schreibtisch. Dort standen in einem Halbkreis drei großformatige Monitore, die an zwei Computertürme angeschlossen waren. Weiter hinten sah er eine komplette DJ-Ausrüstung: Plattenteller, Mischpult, Marken-Lautsprecherboxen, Verstärker, Basslautsprecher. Alles Profigeräte.
Woher hat der Bursche das Geld?
Er nahm die Regale unter die Lupe. Sie bogen sich unter dem Gewicht von Comics: Batman, Superman, Kick-Ass, X-Men. Skeptisch blätterte er in dem obersten Heft des Stapels: eine Ausgabe von Spiderman , in der Peter Parker einem jugendlichen Afro-Latino Platz gemacht hatte. »The times they are
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