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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Abgrunds, an dessen Ende Container und Baufahrzeuge wie Spielzeugminiaturen wirkten, raubte ihr für einige Sekunden buchstäblich den Atem. Allerdings bemerkte sie auch das unstete blaue Flackern, dessen Abglanz auf dem schneestumpfen Fluss lag. Die Kollegen. Das SEK. So nah und doch so unerreichbar …
    »Wollen Sie wissen, was Sarah Kindle gesagt hat, bevor sie starb?«
    Em bejahte, nicht zuletzt, weil es sie tatsächlich brennend interessierte.
    »Sie sagte: Fuck you.«
    Chapeau, dachte Em. »War sie schuldig?« Sie musste ihn ablenken. Zeit gewinnen. Das war ihre einzige Chance, auch wenn ihr klar war, dass diese Baustelle vermutlich der letzte Ort war, an dem ihre Kollegen sie suchen würden. Es sei denn … Sie biss sich auf die Wange. Es sei denn, einer von ihnen schaute sich noch einmal diese verdammten Verse an!
    »Sie meinen, ob sie ihren Mann getötet hatte?«
    »Ja.«
    Er nickte. »Hat sie.«
    »Vermuten Sie das nur, oder hat sie Ihnen das gesagt?«
    »Sie glauben gar nicht, was die Menschen so alles von sich geben, wenn sie dem Tod ins Auge sehen.«
    »Sie war stolz darauf, dass sie mit dem Mord davongekommen ist, nicht wahr?«, fragte Em.
    Norén nickte wieder.
    »Das dachte ich mir.«
    »Wieso?«
    »Weil ihr nie vorher irgendwas Besonderes gelungen war.« Ems Augen begannen zu tränen, als die nächste Böe durch die leeren Fensterhöhlen pfiff und unsanft an ihrem Körper rüttelte.»Sie war eine schlechte Schülerin. Ihre Mutter nahm sie nicht ernst. Ihre Freunde entpuppten sich als Schläger oder Lügner oder beides. Und ihr Mann ließ sie an jedem Tag, den sie zusammen waren, spüren, dass er derjenige mit dem Köpfchen und dem Erfolg und dem Bankkonto ist.«
    »Ich sehe, Sie kannten sie gut.«
    »Hat mir nichts genützt«, entgegnete Em achselzuckend. Sie kam fast um vor Angst. Aber das durfte sie ihn auf gar keinen Fall sehen lassen. »Ebenso wenig wie es Sander Westen genützt hat, dass er so viel über Sie wusste.«
    Der abrupte Themenwechsel irritierte Norén. Doch von einem flüchtigen Stirnrunzeln abgesehen, gab er sich keine Blöße. »Westen weiß gar nichts«, entgegnete er. »Aber er glaubt, alles zu wissen. Das ist sein Problem.«
    »In Ihrem Fall lag er mit seiner Einschätzung richtig«, widersprach Em.
    Norén verzog die Lippen. »Er hat mich nicht erkannt«, flüsterte er. »Obwohl er mir direkt gegenüber gesessen hat. Er war nicht weiter weg, als Sie jetzt sind.«
    Erstaunlich eigentlich, dachte Em. Wenn man allein diese Augen betrachtet …
    Er schien ihre Gedanken zu lesen und lächelte. »Sander Westen war sogar zu dumm, um Angst zu kriegen. Schon damals.«
    »Etwas, das Sie ändern wollten?«
    Norén hob die Waffe. »Sie fangen an, mich zu langweilen.«
    »Tut mir leid.« In Ems Augenwinkeln flimmerte der Schnee, der unablässig vom Himmel stürzte. An ihr vorbei und weiter. Hinab in die schwindelerregende Tiefe. »Was ist mit dem Stein?«, fragte sie, indem sie sich zwang, ihre Aufmerksamkeit wieder auf Norén zu konzentrieren.
    »Was meinen Sie?«
    »Drei kleine Negerlein spazierten am Bau vorbei«, zitierte Em anstelle einer Antwort. »Ein Stein fiel einem auf den Kopf …«
    Grinsen. »Tja, ich fürchte, was das angeht, werden wir improvisieren müssen.«
    Sie nickte nur, während Noréns Augen sich immer tiefer in ihr Gesicht brannten. Gedankenfetzen zuckten durch ihr Bewusstsein wie Blitze. Bilder. Stimmen. Ich bin nie einem reineren Soziopathen begegnet . Blutverklebtes Blondhaar. He, Em! Du hast deine Partnerin vergessen! Ein alter Mann in abgerissenen Kleidern, der plötzlich aus einem düsteren Hinterhof taumelt. Lichter, die aus dem Dunkel auf ihn zurasen. In der Akte steht nichts von Mord. Windgepeitschte Baumkronen über einem maroden Hochsitz. Seine Bewerbung liegt ganz oben auf dem Stapel. Ein rostiger Spaten. Sie sagte: Fuck you …
    Em hob den Kopf, als irgendwo hinter Norén urplötzlich ein Geräusch laut wurde.
    »Da rüber«, zischte er und versetzte ihr einen so heftigen Stoß, dass sie der Länge nach hinfiel.
    Dann machte er ein paar Schritte Richtung Tür und legte auf den Flur an.
    Em überlegte fieberhaft, ob sie sich bemerkbar machen sollte. Ihre Waffe lag außer Reichweite, eine zweite hatte sie nicht. Trotzdem konnte sie denjenigen, der da kam, nicht einfach ins offene Messer laufen lassen. Vielleicht war das einer der Wachleute, der den Lift gesehen hatte. Vielleicht … Sie hielt abrupt inne, als sie links von sich eine flüchtige Bewegung

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