Sigma Force 03 - Der Genisis Plan
Fünf Jahre auf einem Forschungsschiff, dann ein Jahr Bergsteigerausbildung und Konditionstraining, und jetzt war wie hier in Nepal und bereitete sich auf die Ersteigung des Everest vor. Warum ging sie solche Risiken ein wo sie es sich doch hätte viel einfacher machen können?
Lisas Antwort auf diese Frage war ganz einfach: Weil es eine Herausforderung ist. Hatte nicht George Mallory, die Bergsteigerlegende, auf die Frage, warum er den Everest bestiegen habe, geantwortet: Weil er da ist? Natürlich hatte Mallory mit seinem berühmten Ausspruch vor allem einen lästigen Journalisten abwimmeln wollen. Aber waren Lisas Antworten auf die Frage ihrer Mutter etwa ernsthafter ausgefallen? Was tat sie eigentlich hier oben? Das Alltagsleben bot doch eigentlich schon genug Herausforderungen: Man musste seinen Lebensunterhalt verdienen, fürs Alter vorsorgen, einen Partner finden, Schicksalsschläge verarbeiten, Kinder großziehen.
Lisa schreckte vor diesen Gedanken zurück, denn sie lösten eine Art Angstgefühl bei ihr aus. Ihr war klar, was das bedeutete. Suche ich das Risiko etwa deshalb, weil ich vor dem wahren Leben flüchte? Ist das der Grund, weshalb so viele Männer in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden sind? Und jetzt war sie hier. Dreiunddreißig Jahre alt, allein, ohne ernsthafte Bewerber, mit ihrer Forschung als einziger Gesellschaft und einem Ein-Personen-Schlafsack als Bett. Vielleicht sollte sie sich den Kopf kahl rasieren und in eines dieser Bergklöster gehen.
Der Helikopter legte sich schräg, zog nach oben. Augenblicklich war sie wieder hellwach. Oh, verdammt…
Lisa hielt den Atem an, als der Hubschrauber dicht über einen scharfen Grad hinweg flog. Die Kufen streiften beinahe die windgepeitschte Eis kante, dann senkte sich die Maschine in die nächste Schlucht hinab.
Lisa löste die verkrampften Finger von der Armlehne. Auf einmal erschien ihr ein Dreizimmerhaus mit zweieinhalb Kindern als gar keine so schlechte Alternative.
Ang Gelu beugte sich neben ihr vor und zeigte zwischen Pilot und Kopilot hindurch nach unten. Das Brüllen der Rotoren verschluckte seine Worte.
Lisa lehnte die Wange ans Türfenster und spähte nach draußen. Das gebogene Plexiglas fühlte sich kalt an. In der Tiefe machte sie einen Farbtupfer aus. Ein Durcheinander von Ziegeldächern. Auf einem Plateau standen acht Steingebäude, an drei Seiten eingerahmt von Achttausendergipfeln und mit einer senkrechten abfallenden Felswand an der vierten Seite. Das Kloster Temp Och.
Der Helikopter senkte sich jäh auf die Gebäude herab. An einer Seite lag ein terrassenförmiges Kartoffelfeld. An der anderen waren Pferche und Scheunen zu erkennen. Kein Mensch war zu sehen. Niemand kam heraus, um die Besucher zu begrüßen.
Noch bedrohlicher wirkten die Ziegen und blauen Bharalschafe in den Pferchen. Sie bewegten sich nicht. Anstatt in Panik auseinanderzuspritzen, lagen sie mit verdrehten Beinen und unnatürlich gebogenen Hälsen am Boden.
Ang Gelu hatte ebenfalls bemerkt. Er sank in sich zusammen und suchte Lisas Blick. Was war geschehen? Der Pilot und der Soldat hatten eine Meinungsverschiedenheit. Offenbar wollte der Pilot nicht landen. Der Soldat setzte sich damit durch, dass er die Hand auf den Gewehrkolben legte. Daraufhin machte der Pilot ein finsteres Gesicht und rückte die Sauerstoffmaske auf die Nase und Mund zurecht. Nicht weil er an Atemnot litt, sondern aus Angst vor Ansteckung.
Trotzdem gehorchte der Pilot den Befehlen des Soldaten. Er drosselte den Motor und ließ den Helikopter tiefer sinken. Dabei hielt er größtmöglichen Abstand zu den Pferchen ein und wählte als Landeplatz den Rand der Kartoffelfelder.
Die Felder stiegen wie die Ränge eines Amphitheaters an. Die grünen Sprösslinge waren in säuberlichen Reihen angeordnet. Den Hochlandkartoffelbau hatten die Briten Anfang des neunzehnten Jahrhunderts eingeführt. Inzwischen gehörte die Kartoffel hier zu den Hauptnahrungsmitteln. Mit einem dumpfen Geräusch setzten die Kufen auf dem steinigen Boden auf und zerquetschten eine Reihe Kartoffelpflanzen. Die anderen Pflanzen wurden vom Luftschwall der Rotoren umher gepeitscht.
Noch immer ließ sich niemand blicken. Lisa dachte an das tote Vieh. Gab es hier überhaupt noch etwas für sie zu tun? Was war geschehen? Im Geiste ging sie verschiedene Krankheitsbilder und die Übertragungswege durch: Nahrungsaufnahme, Inhalation, Kontakt. Oder war die
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