Silber
auf eine Ansammlung von Tauben zulief und dabei ausgelassen kicherte. Das Mädchen blieb stehen, drehte sich um und blickte zu der Frau hinauf. „Sie riechen aber komisch.“
Die Frau griff nach dem Feuerzeug in ihrer Tasche. Sie drehte mit dem Daumen das Zündrad, rieb damit einen Funken vom Feuerstein und berührte mit der kleinen, unschuldigen Flamme ihr Haar. Sie ließ das Telefon fallen und machte ein paar stolpernde Schritte nach vorn, als sie vom Feuer verschlungen wurde.
Die ganze Stadt um sie herum schrie.
3
DREIZEHN MÄRTYRER
Noah Larkin lag auf dem Rücken und starrte auf den billigen Deckenventilator in seinem ebenso billigen Hotelzimmer. Der Propeller blieb bei jeder vierten Umdrehung stecken und verursachte dabei ein grauenhaftes Quietschgeräusch. Das Zimmer lag im Keller eines alten viktorianischen Stadthauses und kostete ihn zwanzig Pfund pro Nacht. Und es bestätigte sich die alte Redensart: Man bekommt, was man bezahlt. Er hatte bezahlt für eine Matratze, die mit schwarzen Schlieren von zerdrückten Bettwanzen übersät war, ein steifes Bettlaken, das seit der Zeit von Königin Viktoria nicht mehr gewaschen worden war, und Wände, an denen die Wasserflecken schon etwas höher als bis zur Mitte gestiegen waren.
Durch die Fliegengitter mit Blick auf den Gehsteig fiel trübes Licht herein.
Das Zimmer roch nach whiskeyverhangenen Träumen, kaltem Schweiß und indischen Essensresten.
Er schloss die Augen.
Die Frau auf der anderen Seite des Bettes verlagerte ihr Gewicht, worauf sich die ganze Matratze bedrohlich zur Seite neigte. Eine lose Spiralfeder stach in Noahs Hinterteil. Die Frau neben ihm war keine Schönheit, aber das machte ihm nichts aus. Das lag nicht daran, dass Larkin ein tiefgründiges Wesen gehabt hätte, das über bloße Äußerlichkeiten hinwegsehen konnte. Das hatte er nicht und er konnte es nicht; bei ihm gab es keine verborgenen Tiefen. Wie das Hotelzimmer war auch sie billig gewesen, und wieder hatte er bekommen, wofür er bezahlt hatte. Es ging ihm nicht um Sex. Er hatte die Frau nicht einmal berührt. Er wollte nur, dass jemand neben ihm schlief, obwohl er selbst natürlich keinen Schlaf finden konnte.
Sein Handy erbarmte sich und klingelte. Er angelte das Telefon vom Nachttisch.
„Larkin“, sagte er, während er die Tastatur aufschob.
„Wo zum Teufel stecken Sie?“ Der irische Akzent in der Stimme von Ronan Frost war viel deutlicher zu hören, wenn er zornig war. Dieser eine Satz hätte einem Linguisten wahrscheinlich ausgereicht, um nicht nur den Ort, sondern sogar die Straße zu bestimmen, in der er aufgewachsen war.
Noah blickte hinab zu der Prostituierten, die neben ihm lag. Ihr roter Spitzen-BH kämpfte sichtlich mit der Last der Jahre. Sie schlug die Augen auf. Ihr Blick war hohl, wie der der Leeren Männer in dem Gedicht von T. S. Elliot. Sie lächelte ihn an.
„Ich war beschäftigt“, erklärte er Frost.
„Nun, dann lassen Sie jetzt die Albernheiten sein und schaffen stattdessen ihren Hintern hierher, Soldat. Das braune Zeug ist am Dampfen.“
„Bin schon unterwegs, Boss“, sagte er.
Frost schnaubte ins andere Ende der Leitung.
Noah unterbrach die Verbindung und bugsierte das Handy wieder auf den Nachttisch. Die Leuchtanzeige des Weckers versuchte ihm weiszumachen, dass es fast Mitternacht war. Er glaubte ihr keine Sekunde lang.
Mühsam schob er sich aus dem Bett.
Die Prostituierte stützte sich auf die Ellenbogen und ließ ihren Blick anerkennend über seinen nackten Körper gleiten. Er wollte das Kompliment erwidern, aber er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Stattdessen nahm er die Geldbörse aus der Tasche, zog eine Handvoll Scheine heraus und hielt sie ihr hin.
„Das ist zu viel“, sagte sie, den Blick auf das Geld geheftet. Sie hatte Recht, damit hätte man sie für eine ganze Woche bezahlen können.
Noah zuckte mit den Schultern. „Sagen wir, es ist ein Bonus, weil wir beim Kuscheln keine tiefgreifenden Gespräche geführt haben.“
Sie rollte die Scheine zusammen und steckte sie in ihren Büstenhalter.
„Das Zimmer ist die ganze Nacht gebucht. Bleib über Nacht hier und gönn dir morgen ein anständiges Frühstück.“
Er ging zu ihrer Seite des Bettes, beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Es war eine überraschend sanfte und liebevolle Geste. Sie streckte die Hand aus und berührte seine Wange, ihr rot lackierter Fingernagel fuhr über die Narbe, die sich vor dem dunklen Schatten
Weitere Kostenlose Bücher