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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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1
STÜCKE DES HASSES
    Damals – Das Zeugnis des Menachem ben Ja’ir
    Der eine Garten hatte die Schlange, der andere hatte ihn.
    Dieser Gedanke hatte eine gebrochene Schönheit, eine eigentümliche Symmetrie. Die Schlange hatte mit honigsüßen Worten zum ersten Verrat angestiftet, die verbotene Frucht war gekostet, und die Erbsünde lag auf den Lippen des ersten schwachen Mannes. Sein eigener Verrat war hinter der Maske der Liebe begangen worden, ging wieder über die Lippen, und war besiegelt mit einem Kuss. Beide Male wirkte der Verrat durch die Schönheit der Umgebung nur noch hässlicher. Das war das Leid des Gartens.
    Schwer lag das Silber in Iskariots Hand.
    Es war viel schwerer, als die wenigen Münzen glauben machten. Doch andererseits waren es auch nicht nur ein paar Münzen, es war ein mit Silber erkauftes Leben. Es war das Zeichen seiner Schuld. Seine Hand schloss sich um den abgenutzten Lederbeutel zur Faust. Wie viel war ein Leben denn wirklich wert? In den Stunden, die seit dem Kuss vergangen waren, hatte er viel darüber nachgedacht. War es das Gewicht der Münzen, die es gekauft hatten? Die Handvoll in das Kreuz geschlagener Eisennägel, die es beendet hatten? Oder das Fleisch, das den Aasvögeln überlassen wurde? War es all das zusammen? Oder nichts davon? Er wollte glauben, dass es etwas Erhabeneres war, etwas Ehrlicheres: Die Auswirkungen, die es auf die Leben anderer hatte, die Summe von allem, was gut und was schlecht war, die Worte und die Taten.
    „Bitte, nimm es.“ Er bot dem Bauern auf dem Feld die Börse an. „Es ist fünfmal so viel wert wie dein Land. Sogar noch mehr.“
    „Ich will dein Blutgeld nicht, Verräter“, erwiderte der Mann und spuckte in den Staub zwischen seinen Füßen. „Und jetzt scher dich fort.“
    „Wohin soll ich gehen? Ich habe niemanden.“
    „Das ist mir gleich, solange du von hier verschwindest. Irgendwohin, wo man dich nicht kennt. An deiner Stelle würde ich zum Tempel gehen und versuchen, meine Seele zurückzukaufen.“
    Der Mann wandte ihm den Rücken zu und entfernte sich, er ließ Iskariot allein auf dem Feld zurück. „Wenn das nicht geht“, rief er, ohne sich umzudrehen, „kannst du nur auf die Gnade Gottes hoffen.“
    Iskariot ging in die entgegengesetzte Richtung, hin zu dem einzigen, schwarzen Baum auf dem Feld. Ein Blitz hatte vor vielen Jahren dort eingeschlagen und den Stamm bis zur Mitte gespalten. Die hölzernen Eingeweide waren längst verrottet, und nur ein einzelner Ast reckte sich wie ein Galgen in den Abendhimmel und winkte ihn heran.
    Er schleuderte den Beutel gegen den Baum, der ihn zu verhöhnen schien. Als er auf dem Boden aufschlug, platzte eine Naht und die Münzen spritzten über die ausgedörrte Erde. Schon im nächsten Moment kroch er ihnen auf den Knien hinterher. Tränen des Verlusts rannen über seine Wangen. Doch er weinte nicht über den Verlust des Mannes, den er verraten hatte, sondern über den Verlust des Mannes, der er einst gewesen war und der er hätte sein können. So lag er auf der Erde, als auch die Sonne ihn verließ. Er wünschte, sie würde sein Fleisch verbrennen und seine Knochen verkohlen, aber als der Morgen schließlich hereinbrach war er immer noch am Leben.
    Unter der drückenden Last der Sonne wankte er zurück durch die Tore Jerusalems und wanderte stundenlang ziellos durch die Straßen. Die Schreie seines Körpers wurden zu Schweiß in der Hitze. Es lag keine Vergebung in der Luft. Niemand sah ihm in die Augen. Er konnte es selbst kaum ertragen, seinen eigenen Schatten auf dem Boden zu sehen, warum sollten sie ihn also anblicken wollen? Er verdiente ihren Hass. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und blickte hinauf zum Kreuzigungshügel. Dort glaubte er den Schatten des Kreuzes erkennen zu können, schwarz vor dem grünen Gras. Doch die Soldaten hatten die Leichen schon vor Stunden abgenommen. Die einzigen Schatten dort oben waren nun Geister.
    Im Tempel wurde er von den Pharisäern verspottet, als er sie anflehte, das Silber im Austausch für sein Schuldbekenntnis und seine Lossprechung zurückzunehmen.
    „Lebe mit dem, was du getan hast, Judas, Sohn Kariots. Mit dieser Tat hast du dein Vermächtnis geschaffen. Dein Name wird fortleben: Judas, der Verräter, Judas, der Feigling. Das Geld gehört dir, Iskariot, es ist deine Bürde. Du kannst die Unschuld deiner Seele nicht zurückkaufen – und es ist nicht so, als ob du zum ersten Mal getötet hättest. Jetzt geh, dein Anblick macht uns

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