Silber
krank“, sagte der Pharisäer, und mit einer weit ausholenden Geste seines Arms trennte er die Gemeinschaft der Betenden von ihm.
Er traf Iskariots Hand, das darin umklammerte Silber ergoss sich über den Steinboden. Judas fiel auf die Knie, als ob er sich dem heiligen Mann zu Füßen werfen wollte. Mit gesenktem Kopf sammelte er die Münzen ein. Der Hohepriester trat ihn verächtlich in die Seite. „Nimm dein Blutgeld und scher dich fort, Verräter.“
Iskariot kämpfte sich auf die Füße und stolperte zur Tür.
Auf dem Weg nach Gethsemani sah er die vertraute Gestalt Marias, die am Rand der Straße saß. Er wollte zu ihr laufen, sich vor ihr niederwerfen und sie um Vergebung bitten. Sie hatte noch viel mehr verloren als der Rest von ihnen. Sie blickte auf, erkannte ihn und lächelte traurig. Ihr Lächeln ließ ihn in der Bewegung erstarren. Er spürte das Gewicht der Münzen in seiner Hand. Plötzlich waren sie so schwer wie die Liebe und doppelt so kalt. Noch nie hatte er Maria so sehr geliebt wie in diesem Moment. Er hatte gegen viele Lehren seines Freundes gehandelt, doch sein schlimmstes Vergehen war, die Frau zu begehren, die dieser liebte. Er lief in ihre Arme und hielt sie fest, gewaltige raue Schluchzer schüttelten ihn. Er konnte nicht weinen. Nach all den Tränen, die er vergossen hatte, war er leer. „Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“
Sie beruhigte ihn und strich ihm zärtlich durch das Haar. „Sie suchen dich. Matthäus hat sie gegen dich aufgebracht. Er hasst dich, er hat dich schon immer gehasst. Jetzt hat er eine Entschuldigung dafür. Sie sind außer sich vor Trauer und Schmerz, Judas. Du kannst nicht hier bleiben, sonst werden sie dich töten für das, was du getan hast. Du musst fliehen.“
„Ich kann nirgendwo hingehen, Maria, dafür hat er gesorgt. Das ist seine Rache.“ Er lachte bitter. „Ich hätte niemals… Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass es so endet. Und all das nur, weil ich ein Narr bin, der nicht anders konnte, als dich zu lieben.“
„Unser Gott ist ein eifersüchtiger Gott“, sagte sie. Sie klang völlig erschöpft. Die Leere in ihrer Stimme traf ihn tiefer, als die Worte es je vermocht hätten. Sie weinte, aber selbst ihre Tränen waren kraftlos. „Bitte, geh.“
„Ich kann nicht“, sagte er, und er wusste, dass es die Wahrheit war. Er wollte gefunden werden. Er musste spüren, wie ihre Steine ihn trafen. Er brauchte ihren Zorn, um seine Knochen zu zerschmettern. Sein Leben war zu Ende. Der Bauer hatte Recht gehabt, ihm blieb nur noch die Gnade Gottes. Doch was für eine Gnade war das? Welche Gnade lag in einem Selbstmord, wenn ihm die Tore in das Himmlische Reich verschlossen blieben?
Judas war von Zweifeln geplagt, seit Tagen schon. Sein Freund hatte gewusst, dass er nicht mit diesem Blut an seinen Händen leben konnte, und doch hatte er ihn um seinen Verrat gebeten. War vielleicht die Steinigung selbst die letzte Gnade?
„Bitte…“
„Lass sie kommen. Ich werde ihnen gegenübertreten und mit dem letzten Rest Würde sterben, der mir geblieben ist.“
Sie wischte ihre Tränen fort. „Ich flehe dich an. Wenn du es nicht für mich tust, dann tu es für unseren Sohn.“ Sie nahm seine Hand und presste sie gegen die sanfte Wölbung ihres Bauches.
„Unser Sohn“, wiederholte er und fiel vor ihr auf die Knie. Er küsste erst ihre Hände und dann ihren Bauch, er vergrub sein Gesicht im groben Stoff ihres Kleides. Die Worte des Pharisäers hallten durch seinen Kopf: Judas, der Verräter. Wie könnte es einen größeren Verrat geben? Er drückte den zerschlissenen Lederbeutel in ihre Hände. „Bitte, nimm das Silber, für den Jungen, für dich.“
Er sah das Leben, das er verloren hatte, als Spiegelung in Marias Augen. Er wusste, dass sie ihn liebte, und er wusste, dass Liebe allein nicht reichte. Er konnte ihr nicht sagen, wie einsam er sich in diesem Moment fühlte.
Sie wandte sich von ihm ab.
Er ließ sie zurück, um die lange Straße zu seinem Tod zu beschreiten.
Er hatte Zeit zum Nachdenken, Zeit, sich an das Versprechen zu erinnern, das er gegeben hatte, und Zeit, es zu bereuen. Der Gang war voller letzter Dinge: Er sah die Sonne zwischen den Bäumen untergehen; er spürte den Wind auf seinem Gesicht; er schmeckte die dürre Luft auf seiner Zunge. Er zog sein Gewand aus und ging in den Garten.
Sie warteten auf ihn.
Er schreckte nicht vor dem Hass und dem Schmerz in ihren Augen zurück. Er versuchte nicht, sich zu rechtfertigen. Er
Weitere Kostenlose Bücher