Silberfieber
McCully.
»Was von seinem Gerede verwertbar ist, müssen wir uns noch genau überlegen. Jetzt lasst uns einen Blick auf die neue Karte werfen.«
Wie Frank es schon angekündigt hatte, handelte es sich um exakt die gleiche Karte, die sie drei Tage lang bei sich getragen hatten und die Felgendreher jetzt unter seinem Kopfkissen aufbewahrte.
Nur die Koordinaten, die rechts unten in der Ecke standen, waren andere, sie waren genauer:
44° 20’12 N - 65° 55’ 48 W
Die Koordinaten, die auf der ersten Karte die Stelle bezeichnet hatten, an der die Titanic im Atlantik versunken war, hatten gelautet:
41 0 46’ N – 50° 14’ W
So konnten sie bereits jetzt, ohne zu wissen, worum es bei den neuen Koordinaten ging, an ihnen ablesen, dass die neue Stelle etwas weiter südlich und vor allem um einige Grade weiter im Westen lag als die Stelle des untergegangenen Luxusschiffs.
Auch die Jahreszahl 1912, das Jahr des Schiffsuntergangs, fehlte auf der neuen Karte. Frank gab die neuen Koordinaten an Michael durch, der in Hamburg sofort mit der Recherche beginnen wollte und versprach, sich so bald wie möglich zurückzumelden. Das hieß, sobald er herausgefunden hatte, auf welchen Ort sich die neuen Angaben bezogen.
Nachdem er aufgelegt hatte, trat Schweigen in dem kleinen Schlafzimmer der Pension Sonne ein. Es war inzwischen später Nachmittag geworden, und das wenige dunstige Tageslicht, das draußen von der Rathausgasse ins Zimmer fiel, wurde schwächer.
Alle drei wussten instinktiv, dass sie Michael nur mit der Recherche nach den neuen Koordinaten beauftragt hatten, um sich in Ruhe dem neuen Rätsel widmen zu können, das jetzt direkt vor ihrer Nase aufgetaucht war. Frank hatte davon schon auf dem Weg zurück zur Pension gesprochen: Irgendein Spruch stand auf der Karte, in der linken Ecke. Es waren nicht mehr als fünf Zeilen, die da standen, und die Worte waren nur schlecht lesbar, der Sinn dahingeschwunden in den langen Jahren, in denen die Karte verborgen gewesen war. Fast wie die zusammenhanglos dahergeredeten Worte von Franz Felgendreher. Erschwerend kam hinzu, dass sie die Sprache nicht kannten, in der die fünf Zeilen geschrieben waren:
1 or car a’ uafa’sach
bf raigh ar fudh sior d ne’
sta’ dhui e d rcha muir
Ta a’tha’n die der h dor adas
Loighe mor ai head soithea’ch
»Was ist das? Kennen Sie diese Sprache, Ken?«
»Ich würde sagen, es ist Gälisch, die Worte sind vollkommen unklar, einige Buchstaben sind völlig verwischt und die Zeilen verblichen. Bis auf wenige Worte habe ich leider nie gelernt, es zu verstehen oder sogar zu sprechen. Ich kann auch nicht genau erkennen, ob es sich um irisches Gälisch, schottisches Gälisch oder einen der speziellen Dialekte handelt.«
Peter sprach aus, was sie alle drei dachten und weshalb ihnen die neuen Koordinaten auf der Karte als vergleichsweise uninteressant vorkamen. Eine momentan für sie unspektakuläre Angelegenheit, deren Aufklärung ihnen Michael mit Freuden abgenommen hatte, damit sie sich dem eigentlichen, neu aufgetauchten Rätsel widmen konnten:
»Zum Glück hat uns jemand die Arbeit schon abgenommen und dieses Kauderwelsch übersetzt.«
Neben den verblichenen fünf gälischen Zeilen stand eine sehr viel deutlichere Inschrift in Druckbuchstaben, die nur aus einer wesentlich jüngeren Zeit stammen konnte und eindeutig eine Übersetzung der alten gälischen Botschaft war. Vielleicht hatte sie Franz Felgendreher ja auch selbst auf die Karte geschrieben:
zu Jolly Rogers Banner Ruhme
vergraben durch der Siedler Ahnen
behütet durch der Stürme Fluten
und der Totenruhe Ehren verborgen
liegt Pecunias stolzeste Fregatte
33
Hätten Franz Felgendrehers Besucher auf dem Rückweg in die Pension Sonne nicht denselben Weg genommen wie auf dem Hinweg, und hätten sie, wie es der Wunsch Kenneth McCullys gewesen war, stattdessen einen längeren Ausflug an der grün dahinfließenden Aare entlang gemacht, und wären sie deshalb dann am Spitalausgang nach rechts und nicht nach links abgebogen, hätten sie das bitter bereut. Denn dann wären sie aller Voraussicht nach dem Mann in die Arme gelaufen, dem sie auf der ganzen Welt im Moment am allerwenigsten begegnen wollten und vor dem Frank seit nunmehr fünf Tagen auf der Flucht war.
Einstein betrat das Krankenhausgelände und ging über die neue Teerstraße auf das Eingangstor des Psychiatriegebäudes zu. Er fluchte leise vor sich hin. Langsam aber sicher hatte er genug von Europa. Die
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