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Silberfieber

Silberfieber

Titel: Silberfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wuehrmann
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schlagen. Die Glockenschläge erinnerten das Schatzsucherteam daran, dass sie sich weit, sehr weit vom Atlantischen Ozean entfernt mitten in der Bundeshauptstadt der Schweizer befanden, die nie eine Schiffsflotte besessen hatten und über Generationen nie einem Piraten begegnet waren.
    Professor Kenneth McCully setzte seine nächtliche Erzählung fort.
    »Die wahrscheinlichste Version der Herkunft des Schatzes auf Wavy Island ist für mich, dass die Einwohner von Neuschottland, vor allem die reichen Bürger der Städte Halifax und Yarmouth, sich den Schatz selbst unter den Nagel gerissen haben. Sie haben das komplizierte Grubensystem errichtet, um den Silberschatz vor dem Zugriff der Provinzregierung zu verstecken, und zur Ablenkung den Piratenmythos erfunden. Dafür spricht auch die gälische Inschrift auf der Schatzkarte, von der nur noch einzelne Buchstaben lesbar sind. Über die Hälfte der Einwohner Nova Scotias stammt ursprünglich aus Schottland. Auf der Insel Cape Breton wird in einigen Dörfern sogar heute noch Gälisch gesprochen.«
    »Wenn Ihre Theorie stimmt, Ken, dass die Einwohner Neuschottlands oder die Ahnen der Siedler, wie es in der Übersetzung heißt, den Schatz selbst vergraben haben, wieso weiß dann niemand von ihnen, wo er liegt? Ihren Nachfahren müssten die Siedler doch am ehesten die genaue Stelle überliefert haben«, sagte Frank.
    »Die Spur des Schatzes verliert sich irgendwann im Laufe der Geschichte«, sagte McCully. »In den Wirren der Kriege um die nordamerikanischen Kolonien zwischen Frankreich und England Mitte des 18. Jahrhunderts ist der Schatz in Vergessenheit geraten. Man muss beachten, dass die gestrandete spanische Silberflotte schon 1715 nach Europa aufgebrochen ist. Das Schiff, das nach Neuschottland gelangte, muss sich in diesem oder im folgenden Jahr nach Wavy Island gerettet haben. Von 1756 bis 1763 herrschte der Siebenjährige Krieg zwischen England und Frankreich. Die Franzosen kämpften um ihre Vormachtstellung in Europa, während die Engländer mit ihrer starken Seeflotte sie in den Überseegebieten zurückschlagen konnten. Ihr wisst ja, dass die Kolonien, die auf der Karte abgebildet sind, zwischen England und Frankreich hart umkämpft waren. Die Isle de la Madeleine und Cape Breton tragen noch heute französische Namen. Montreal ist nach Paris die zweitgrößte französischsprachige Stadt der Welt, und in Quebec gibt es eine starke Separationsbewegung, die für die Loslösung von Kanada kämpft. Die Engländer konnten sich nie endgültig gegen die Franzosen durchsetzen, weil sie ab 1776 schon wieder mit einem anderen Krieg, diesmal ihrem eigenen, dem Unabhängigkeitskrieg, beschäftigt waren. In all dem Durcheinander ist es leicht nachvollziehbar, dass die Männer, die das verborgene Tunnelsystem angelegt haben, ihr Wissen darüber nicht weitergeben konnten, weil sie in den Kriegen fielen und nicht mehr zurückkehrten. Schriftliche Aufzeichnungen hat man damals sowieso nicht angefertigt, und die mündlichen Überlieferungen sind so lückenhaft, dass die Lage der Schatzkammer, oder wie man sie nennen will, im geheimnisvollen Dunkel der Erzählungen der Neuschottländer verschwand. Der abschreckende Mythos über den grausamen Piraten und sein Höllenschiff mit den brennenden Segeln tat ein Übriges, und so geriet das Ganze in Vergessenheit.
    Nicht umsonst geht die Geschichte des Fischers, des ersten Schatzsuchers auf Wavy Island, der die Vertiefung im Erdboden entdeckt hat, auf das Jahr 1795 zurück. Zu dieser Zeit hatten sich die Unruhen in der Gegend abgeschwächt, und erstmals war ein länger andauernder Friede eingekehrt. Selbst wenn in neuerer Zeit Nachforschungen über die exakte Stelle des Schatzes angestellt wurden, was die Nachfahren der schottischen Siedler mit Sicherheit veranlasst haben, werden sie dabei nicht viel Erfolg gehabt haben. Und, wie ich vorhin gesagt habe, das liegt ganz einfach daran, dass ein Großteil von Wavy Island inzwischen völlig zerlöchert ist und in der frühen Zeit der Schatzsuche niemand Aufzeichnungen über die Grabungen angefertigt hat.«
    Kenneth McCully rieb sich wieder nachdenklich die Narbe an seinem Auge. Er schien am Ende seiner Erzählung angelangt zu sein, doch dann setzte er noch hinzu:
    »Es weiß ganz einfach niemand mehr, welches der vielen Löcher das erste war, mit dem die drei Fischer Ende des 18. Jahrhunderts zu graben begonnen haben.« Er zeigte mit dem Finger auf die Koordinaten:

    44° 20’ 12 N – 65° 55'

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