Silberhuf
das. Der Lamaismus ist eine sehr erquickliche Religion, besonders für die Reichen. Weißt du, arm oder unglücklich bist du nur deshalb, weil du in deinem vorhergehenden Leben gottlos warst, so sagen die Lamaisten. Bist du dagegen reich, dann ist das der Beweis für die Frömmigkeit in deinem vorangegangenen Leben. Ein reicher Mann kann übrigens auch andere Leute dafür bezahlen, für ihn zu beten oder für ihn Pilgerfahrten zu unternehmen. Und um ganz sicherzugehen, daß du dein nächstes Leben noch schöner verbringst, darfst du den Lamaklöstern sogar Geschenke machen — das heißt, wenn du an solches Zeug glaubst.“
Ich sah uns im Geiste schon in einem verödeten Lamakloster, in dem eine schreckliche Seuche alles Leben vernichtet hatte, herumschleichen und Goldbarren und funkelnde Juwelen einkassieren. Wir würden die Schätze vergraben, eine Karte zeichnen, die nur wir entziffern könnten, und später steinreich nach London zurückkehren. Ich würde mir einen Sportwagen kaufen, einen Zweisitzer und . . .
„Ich glaube, wir sollten einen Vorstoß wagen!“ Vater riß mich aus meiner Tagesträumerei.
„Wenn das Lamakloster unbewohnt ist, möcht ich es lieber vor Einbruch der Dunkelheit unter die Lupe nehmen.“
Er prüfte mein Gewehr und ließ mich beim Jeep zurück. Ich sollte ihm Deckung geben, während er die Gegend auskundschaftete.
Aufrecht und so, als ob es ihm nichts ausmachte, mit seinem federnden „Du-kannst-mich-mal-Gang“, selbstsicher und ein bißchen O-beinig, ging er schnurstracks auf das Kloster los.
Er hatte sein Gewehr mit dem Lauf nach unten über die Schulter gehängt, um zu zeigen, daß er nichts Böses im Schilde führte.
Ich beobachtete die Fenster, die nichts weiter waren als Öffnungen ohne Glas in den Adobe- und Steinwänden.
Er kletterte einen steilen Pfad hinauf, den ich nicht sehen konnte, und klopfte, oben angekommen, an die Tür. Dann stieß er sie mit dem Fuß auf und wich zurück, die Waffe schußbereit in der Hand.
Ich sah ihn hinter den Fenstern entlangschleichen. Er sahsehr wachsam aus, so, als ob er den Finger haarscharf am Abzug hielt. Das Lamakloster besaß nur zwei Stockwerke. Nach kurzer Zeit bewegte er sich daher schon hinter den Fenstern des oberen Stocks. Danach kam er zurück und erschien auf dem flachen Dach. Dort sah er sich sorgsam um, warf einen Blick hinter das kleine Nebenhaus mit dem goldenen Dach und den großen Goldtroddeln, winkte und schrie mir zu: „Keine Menschenseele zu sehen. Komm rauf.“
Er erwartete mich an der Tür und zog mich hinein. Der erste große Raum war das Gebetszimmer. Überall lagen fünf Zentimeter dicke, in rotes Wolltuch eingehüllte Matratzen herum, die den Mönchen als Sitze dienten. Und aus allen Ecken und Winkeln fühlte man sich von den Buddhas und Statuen streng gemustert. Es stank wie die Pest — wie in allen diesen Lamaklöstern —, es war eine Geruchsmischung nach schmutzigen Leuten, ranziger Butter und einem Anflug von verbrannten Kiefernnadeln. Aber der Gestank war nicht frisch, wenn man überhaupt so was sagen kann. Über dem Fußboden lag eine dicke Staubschicht aus feinstem Flugsand. Mit Ausnahme von Vaters Fußspuren war es eine völlig glatte Fläche.
Ich dachte mir: Na schön, wenn hier überhaupt jemand lebt, dann höchstens Gespenster, die keine Fußspuren hinterlassen. Aber kaum hatte ich es gedacht, da verwünschte ich es auch schon wieder, denn dies hier war genau die Stätte, die sich Gespenster als Behausung auswählen würden.
Mein Vater kletterte auf einer befestigten, wenn auch sehr wackligen Leiter durch ein rechteckiges Loch in das Obergeschoß. Ich folgte ihm auf dem Fuß, um keine Zeit zu verlieren. Fast wäre ich auf den runden Leitersprossen, die unter dem Staub schmierig waren, ausgerutscht. Er zerrte mich hoch, und wir guckten oben zusammen in die winzigen, türlosenMönchszellen. Sie sahen alle gleich aus — eine harte Pritsche, eine Matte, ein niedriger Tisch, der einem Schemel glich, und eine Menge ellenlanger buddhistischer Bücher. Aber keine Menschenseele, geschweige denn eine Spur von ihnen.
„Nicht übel für ein Nachtlager“, kommentierte mein Vater. „Selbst ein Vorrat an Yakdung als Brennmaterial ist da. Das wird unser Benzin schonen, falls wir den Jeep je wieder startklar kriegen, was ich bezweifle. Wenn niemand aufkreuzt, bin ich dafür, hier unser Hauptquartier zu errichten. Ich wette, hier hat sich seit Jahren kein Schwanz mehr blicken lassen.“
„Was“,
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