Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
wichtig, dass der Setzling gut gedeihen würde.
Cheti brummelte nur, während seine Füße rasch ausschritten. Er sehnte sich nach seinem kleinen Haus im Beamtenviertel. Das Reisen behagte ihm nicht, er hatte die Fahrt nur Meret zuliebe auf sich genommen.
Sie bogen in die Gasse ein, an der ihr Grundstück lag. An der Mauer, die das Anwesen des Obersten Steuereintreibers vor neugierigen Blicken schützte, blieb er abrupt stehen. Meret prallte fast in ihn hinein und sah ihn fragend an.
»Wie wäre es, wenn ich gleich heute Abend noch zu Hetepi ginge und fragte, ob er uns seinen Gärtner ausborgt?«
»Oh Cheti«, strahlte Meret und umarmte ihren Mann stürmisch. »Du bist doch der Beste.«
Am nächsten Tag klopfte der Gärtner des Hetepi vorsichtig die feuchte Erde um den kostbaren Setzling fest und wiegte seinen Kopf. »Ich glaube nicht, dass da noch was draus wird, Dame Meret. Die lange Reise …«
Meret spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Dieses Bäumchen durfte nicht sterben! »Woran erkenne ich, ob die Pflanze angewachsen ist und gedeiht?«
»Beobachte die Spitzen. Wenn sich neue Knospen bilden, ist alles gut. Und immer schön feucht halten.«
Meret beugte sich vor und betrachtete eingehend das dürre Zweiglein, das nackt und kahl aus der schwarzen Erde lugte.
»Danke für deinen Rat und deine freundliche Hilfe. Richte auch deinem Herrn meinen Dank aus.«
In den folgenden Tagen wurde Cheti beim Heimkommen stets als Erstes über den Zustand der Pflanze informiert. Mal war sich Meret ganz sicher, dass sie Wachstum beobachtet hätte, dann wieder war sie überzeugt, dass das kostbare Geschenk nur noch verdorrt in der Erde steckte. Cheti nahm beides mit der ihm eigenen Ruhe hin, denn zumindest hatte Meret etwas, um das sie sich kümmern konnte, solange kein Kinderlachen das Haus erfüllte.
Doch dann prangte eines schönen Tages unbestreitbar ein grünes Blatt an dem kahlen Stängel. Meret strömte über vor Glück. Und als sie kurze Zeit später spürte, dass sie Leben in sich trug, wusste sie, dass nur der mächtige Zauber der heiligen Sykomore dies bewirkt haben konnte.
Froh beobachtete Cheti, wie seine Frau lachend und tanzend durch das Haus wirbelte, und nahm sich fest vor, der guten Göttin in den nächsten Tagen ein gehöriges Dankopfer zu bringen.
Den gesunden Jungen, den Meret zu Beginn des neuen Jahres zur Welt brachte, nannten sie Sinuhe – Sohn der Sykomore.
1 ~ Unsichere Zeiten
Regierungsjahr 1 von Mentuhotep IV
»Ich glaube, da hinten ist noch eine. Dort, bei der Palme, siehst du?«
Aufgeregt packte Sinuhe seinen Freund am Arm und wies auf die dichte Vegetation am westlichen Flussufer.
Angestrengt spähte Sesostris in die angegebene Richtung. »Deine Augen sind wohl besser als meine. Doch halt – da bewegt sich tatsächlich etwas. Das ist aber dann die Letzte für heute. Die Sonne geht bald unter und ich darf mich nicht verspäten.«
Rasch paddelten die beiden Knaben das kleine, aus gebündeltem Papyrus gefertigte Boot hinüber. Als sie sich dem Dickicht aus Binsen genähert hatten, schlugen sie mit ihren Paddeln gegen die Pflanzen. Es dauerte nicht lange, bis ein großer Vogel mit lautem Geschrei seine Deckung verließ. Nun musste es schnell gehen. Während Sinuhe sitzen blieb, richtete sich Sesostris auf dem schwankenden Papyrusboot auf und hielt sein Wurfholz bereit. Schon segelte das Holz in elegantem Schwung hinauf in den Himmel. Es traf die flüchtende Ente mit einem dumpfen Laut, bevor sie sich im nächsten Dickicht in Sicherheit bringen konnte.
Das Boot schaukelte von der heftigen Bewegung, und Sesostris ließ vorsichtig auf dem flachen Boden aus gebündelten Stängeln nieder. Er ergriff sein Paddel. Jetzt konnten sie sich Zeit lassen. »Da haben wir aber eine schöne Mahlzeit erjagt«, schwelgte er und leckte sich die Lippen. »Zwei Enten für jeden. Mutter wird sich freuen.«
Sinuhe grinste seinem Freund zu.
Nicht, dass die Vorräte im Haus des Wesirs Amenemhet jemals knapp gewesen waren, aber gebratene Ente stellte immer eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan dar. Während Sinuhes Vater Cheti als Palastschreiber ein hoher Beamter am Hof war, leitete Amenemhet im Auftrag Pharaos die Geschicke der Beiden Länder. Sesostris sah seinen Vater daher nur selten, aber wenn er in der Residenz Waset weilte und keine Beratung anberaumt war, legte er Wert auf gemeinsame Mahlzeiten. Amenemhet war ein harter und verschlossener Mann, und Sesostris fürchtete
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