Skulduggery Pleasant -1- Der Gentleman mit der Feuerhand
roch irgendwie alt. Nicht unbedingt modrig, eher ... erfahren. Diese Wände und die Böden hatten schon allerhand erlebt, und Stephanie war lediglich ein gehauchtes Flüstern für sie. Eben noch hier, im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden.
Gordon war ein guter Onkel gewesen. Arrogant und verantwortungslos, klar, aber er konnte auch albern und ungeheuer witzig sein, und er hatte dieses Leuchten in den Augen, ein schalkhaftes Glitzern. Wenn alle anderen dachten, er meinte es ernst, sah Stephanie das Zwinkern und Nicken und das versteckte Lächeln, das er ihr zuwarf, wenn niemand guckte. Obwohl sie erst zwölf war, hatte sie das Gefühl, ihn besser zu verstehen als die meisten Erwachsenen. Ihr gefielen seine intelligente Art und sein Witz und dass er sich nicht darum scherte, was die Leute von ihm hielten. Doch, er war ihr ein guter Onkel gewesen. Sie hatte eine Menge von ihm gelernt.
Stephanie wusste, dass ihre Mutter und Gordon kurze Zeit miteinander gegangen waren - er hatte ihr „den Hof gemacht“, wie ihre Mutter es ausdrückte -, doch als er sie seinem jüngeren Bruder vorgestellt hatte, war es bei den beiden Liebe auf den ersten Blick gewesen. Gordon hatte sich danach immer gern beklagt, dass er von ihr nie mehr als einen flüchtigen Kuss auf die Wange bekommen hätte. Trotzdem hatte er großzügig das Feld geräumt und sich ganz zufrieden damit abgefunden, auch weiterhin zahlreiche heiße Affären mit zahlreichen schönen Frauen zu haben. Er hatte oft gesagt, dass es zwar ein recht fairer Tausch gewesen sei, er aber vermutlich doch den Kürzeren gezogen habe.
Stephanie ging die Treppe hinauf, öffnete die Tür zu Gordons Arbeitszimmer und trat ein. An den Wänden teilten sich die eingerahmten Schutzumschläge seiner Bestseller den Platz mit allen möglichen Auszeichnungen. Eine Wand bestand nur aus vollgestopften Bücherregalen. Es gab Biografien und historische Romane und wissenschaftliche Abhandlungen und psychologische Schinken und dazwischen zerfledderte Taschenbücher. Auf einem der unteren Regalbretter lagen Zeitschriften, Buchbesprechungen und Magazine. Stephanie ging an dem Regal mit den Erstausgaben von Gordons Romanen vorbei zu seinem Schreibtisch.
Sie betrachtete den Stuhl, auf dem er gestorben war, und versuchte, ihn sich dort zusammengesunken vorzustellen.
Und dann war da plötzlich eine Stimme, so weich, dass sie aus Samt hätte sein können.
„Wenigstens starb er mitten in seiner geliebten Arbeit.“
Überrascht drehte sie sich um und sah den Mann mit dem braunen Mantel und dem Hut, der ihr bei der Beerdigung aufgefallen war, im Türrahmen stehen. Er hatte den Schal noch um, die Sonnenbrille noch auf, und die wilden Locken schauten noch genauso unter dem Hut hervor. Außerdem trug er Handschuhe.
„Ja“, sagte sie, weil ihr nichts anderes einfiel, „wenigstens das.“
„Du bist eine seiner Nichten, stimmt's?“, fragte der Mann. „Da du nichts klaust und nichts kaputt machst, nehme ich an, du bist Stephanie.“
Sie nickte und ergriff die Gelegenheit, ihn sich genauer anzuschauen. Zwischen Schal und Sonnenbrille war nicht das kleinste Stückchen Gesicht zu sehen.
„Waren Sie ein Freund von ihm?“, erkundigte sie sich. Der Mann, der da vor ihr stand, war groß, groß und schlank, auch wenn es schwierig war, seine Figur unter dem Mantel genau auszumachen.
„Das war ich“, erwiderte er und nickte. Durch diese kleine Bewegung fiel ihr auf, dass der Rest seines Körpers unnatürlich steif wirkte. „Ich kannte ihn viele Jahre. Wir lernten uns in einer Bar in New York kennen, als ich drüben war, damals, nachdem er gerade seinen ersten Roman veröffentlicht hatte.“
Stephanie konnte hinter der Sonnenbrille nichts erkennen. „Sind Sie auch Schriftsteller?“
„Ich? Nein, ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte. Aber ich konnte meine schriftstellerischen Fantasien durch Gordon ausleben.“
„Sie hatten schriftstellerische Fantasien?“
„Hat die nicht jeder?“
„Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.“
„Oh. Dann würde man mich deshalb für einen merkwürdigen Kauz halten, ja?“
„Na ja“, meinte Stephanie, „es wäre eine Merkwürdigkeit mehr.“
„Gordon hat oft von dir gesprochen und mit seiner kleinen Nichte regelrecht angegeben. Er hatte Charakter, dein Onkel. Du auch, wie mir scheint.“
„Sie sagen das so, als würden Sie mich kennen.“
„Willensstark, intelligent, scharfzüngig, hat keine Geduld mit Dummköpfen ... erinnert dich das an
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