Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
der telefonierte, damit … ihn jemand abholte. Ihn irgendwohin brachte.
    Er ging weiter in normalem Schritttempo. Rechtes Bein, linkes Bein. Er durfte sich nicht drücken. Grauenvolle Dinge würden geschehen, wenn er sich drückte. Die denkbar schrecklichsten.
    Als er die Sperren hinter sich gelassen hatte, schaute er sich um. Er hatte einen schlechten Orientierungssinn. In welcher Richtung lag jetzt das Waldstück? Er konnte natürlich niemanden fragen, musste es auf gut Glück versuchen. Einfach losstiefeln, die Sache hinter sich bringen. Rechtes Bein, linkes Bein.
    Es muss einen anderen Weg geben.
    Aber ihm fiel keiner ein. Es gab gewisse Voraussetzungen, gewisse Kriterien. Dies war der einzige Weg, sie alle zu erfüllen.
    Er hatte es zwei Mal getan, und beide Male hatte er es vermasselt. In Växjö war es nicht ganz so schlimm gewesen, aber immerhin schlimm genug, um einen Umzug zu erzwingen. Heute würde er seine Sache besser machen, viel Lob einstreichen.
    Zärtlichkeiten womöglich.
    Zwei Mal. Er war bereits verdammt. Was spielte ein drittes Mal da noch für eine Rolle? Nicht die geringste. Das Urteil der Gesellschaft würde vermutlich gleich ausfallen. Lebenslänglich.
    Und das moralische? Wie viele Runden mit dem Schwanz, König Minos?
    Der Parkweg, auf dem er ging, beschrieb ein Stück voraus, am Waldsaum, eine Kurve. Das musste der Wald sein, den er auf dem Stadtplan gesehen hatte. Der Druckbehälter und das Messer klirrten gegeneinander. Er versuchte die Tasche zu tragen, ohne sie zu rütteln.
    Vor ihm bog ein Kind auf den Weg ein. Ein etwa achtjähriges Mädchen auf dem Nachhauseweg von der Schule, die Schultasche schlug ihr gegen die Hüfte.
    Nein! Niemals!
    Es gab für alles eine Grenze. Ein so kleines Kind kam nicht in Frage. Dann lieber er selbst, bis er tot umfiel. Das Mädchen sang etwas. Er ging schneller, um ihr näher zu kommen, um besser hören zu können.
    »Du kleiner Sonnenschein schaust herein durchs Fenster in mein Zimmerlein …«
    Sangen die Kinder das heutzutage noch? Vielleicht war die Lehrerin des Mädchens schon etwas älter. Wie schön, dass es dieses Lied noch gab. Er wäre gerne näher herangegangen, um noch besser hören zu können, ja, so nahe, dass es ihm möglich gewesen wäre, den Duft ihrer Haare zu riechen.
    Er wurde langsamer, durfte jetzt bloß keinen Unsinn machen. Das Mädchen verließ den Parkweg, ging auf einem schmaleren Pfad in den Wald hinein. Vermutlich wohnte es in den Häusern hinter dem Wald. Dass die Eltern es wagten, das Mädchen so gehen zu lassen, ganz allein. So klein.
    Er blieb stehen, ließ das Mädchen den Abstand zu ihm vergrößern, im Wald verschwinden.
    Geh nun ruhig weiter, meine Kleine. Bleib zum Spielen nicht im Wald.
    Er wartete ungefähr eine Minute, lauschte einem Buchfinken, der neben ihm in einem Baum sang. Dann folgte er dem Mädchen.
    *
    Oskar war auf dem Heimweg; sein Kopf war schwer. Er fühlte sich immer besonders schlecht, wenn es ihm geglückt war, einer Bestrafung auf diese Art zu entgehen; indem er sich zum Schweinchen oder zu etwas anderem machte. Schlechter als nach einer Bestrafung. Er wusste, dass es so war, konnte sich trotzdem nie dazu durchringen, die Strafe anzunehmen, wenn sie nahte. Lieber erniedrigte er sich zu allem möglichen. Es fehlte ihm am nötigen Stolz.
    Robin Hood und Spiderman hatten ihren Stolz. Wenn Sir John oder Doktor Octopus sie in die Ecke drängten, spuckten sie der Gefahr ins Gesicht, selbst wenn keine Möglichkeit mehr bestand, ihnen zu entkommen.
    Aber was wusste so einer wie Spiderman denn schon? Ihm gelang doch trotzdem immer die Flucht, obwohl es zunächst völlig ausgeschlossen zu sein schien. Er war eine Comicfigur und musste bis zum nächsten Heft überleben. Er hatte seine Spinnenkräfte, Oskar sein Schweinegrunzen. Alle Mittel waren recht, um zu überleben.
    Oskar hatte das Bedürfnis, sich selber zu trösten. Er hatte einen grauenvollen Tag gehabt und würde sich jetzt dafür ein wenig entschädigen. Obwohl er dort Gefahr lief, Jonny und Micke zu begegnen, ging er zum Einkaufszentrum von Blackeberg, zum Sabis. Er schlurfte den Zickzack aufwärts führenden Gehsteig hinauf, statt die Treppen zu nehmen, sammelte sich. Es war wichtig, ruhig zu wirken, nicht zu schwitzen.
    Vor einem Jahr war er im Konsum-Supermarkt beim Klauen erwischt worden. Der Mann vom Wachdienst wollte Mama anrufen, aber sie war auf der Arbeit gewesen, und Oskar kannte die Telefonnummer nicht, nein, nein. Eine Woche lang

Weitere Kostenlose Bücher