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So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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die Kälte des Wassers im ersten Moment.
    Voller Ungeduld, endlich loszulegen, stellte sie den Timer ihrer wasserdichten Armbanduhr ein, zog die Schwimmbrille über die Augen und stieß sich vom Rand ab. Ihre ersten fröstelnden Schwimmzüge waren unbeholfen und steif, doch bald fand sie ihren Rhythmus:
ausholen, ziehen, atmen, ausholen, ziehen, atmen.
    Mühelos glitten sie und der andere Schwimmer aneinander vorbei, und schon bald hatte sie ihn vergessen. Ihr Körper wurde warm, und ihre Gedanken schweiften ab.
    Das Schwimmen war Angies tägliche Therapie, es hielt sie geistig gesund.
    Als ihre Schwester Eva vor fast achtzehn Monaten nach Alexandria zurückgekehrt war, hatte Angies Leben kurz davor gestanden, aus den Fugen zu geraten. Die Tatsache, dass sie einen Sadisten wie Dr. James Dixon verteidigt und ihm zum Freispruch verholfen hatte, quälte sie. Von dem Moment an, in dem Dixon in ihr Büro geschlendert war und behauptet hatte, er sei unschuldig, hatte sie gespürt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Es war ein Gefühl, das alle ihre Fluchtinstinkte aktivierte. Doch Dixon hatte seine Unschuld beteuert. Er war wohlhabend und bereit, für seine Verteidigung tief in die Tasche zu greifen, und Angie hatte als Neuzugang bei Wellington & James darauf gebrannt, sich einen Namen zu machen. Sie hatte ihr Bauchgefühl unterdrückt und sich auf die Fakten konzentriert, die, wenn man sie geschickt präsentierte, Dixons Unschuld bewiesen.
    Im Gerichtssaal hatte sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entkräftet und die Zeugenaussage der Prostituierten Lulu Sweet in Stücke gerissen. Als Angie fertig war, war von der Geschichte des Mädchens nichts mehr übrig und Lulu in Tränen aufgelöst. Bei Verkündung des Freispruchs hatten die Polizisten, die Dixon verhaftet hatten, laut gemurrt, und Dixon hatte die Arme hochgerissen. Angie hatte den Gerichtssaal verlassen, die Ohren hatten ihr von den Glückwünschen der Kollegen geklingelt, und die Presse hatte sie wegen einer Stellungnahme belagert. Nach diesem Erfolg hatte es ihr nicht an Arbeit gemangelt. Tatsächlich hatte sie sogar einiges ablehnen müssen. Über Nacht war sie von einer unbekannten, idealistischen Verteidigerin zum Barrakuda geworden.
    Ungefähr um die Zeit hatte sie begonnen, ein paar Gläser Wein zum Abendessen zu trinken. Wenige Jahre zuvor hatte sie so hart gekämpft, um zu überleben, und jetzt brauchte sie Wein, um das Leben erträglicher zu machen. Bald genügten zwei Gläser nicht mehr, also trank sie vier oder fünf. Ehe sie es sich versah, hatte sie ein ausgewachsenes Alkoholproblem. Eine verhängnisvolle Affäre mit einem Reporter und die Tatsache, dass ihre Schwester beinahe ermordet worden wäre, hatten Angie wachgerüttelt.
    Scham und Furcht hatten sie zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker getrieben, wo sie sich zu ihren Ängsten bekannt hatte. Sie sah sich nicht als geheilt an, doch inzwischen konnte sie voller Stolz sagen, dass sie seit vierhundertsiebzig Tagen trocken war.
    Ihre Glieder glitten durch das Wasser, das ihre Haut inzwischen liebkoste.
Drei Züge. Atmen. Drei Züge. Atmen.
Der andere Schwimmer beendete sein Training und stieg aus dem Becken. Angie wechselte in die Mitte der Bahn und nahm ihr Tempo wieder auf.
    Als das Piepsen ihrer Armbanduhr signalisierte, dass dreißig Minuten um waren, schwamm sie an den Rand, außer Atem, doch vollkommen entspannt. Sie kletterte aus dem Becken und ging zu den Stühlen hinüber, wo sie ihr Handtuch abgelegt hatte. Sie hatte Augen und Haare noch nicht richtig abgetrocknet, als sie hörte, wie jemand hinter ihr mit tiefer Stimme ihren Namen rief.
    Angie verkrampfte sich. Diesen schroffen Bariton kannte sie. Detective Malcolm Kier. Der Cop gab sich keine Mühe, seine Verachtung für sie und ihre Arbeit zu verbergen. Sofort wünschte sie, sie hätte Kostüm und High Heels an. Sie streckte die Schultern und drehte sich um. »Detective Kier. Was für eine reizende Überraschung.«
    Kier hatte eine kräftige Statur. Kaum drei Zentimeter größer als sie, strahlte er rohe Kraft und ein Selbstbewusstsein aus, das beinahe jeden einschüchterte. Auch Angie brachte es aus dem Konzept, doch sie hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass sie sich eher die Zunge abbeißen würde, als sich das anmerken zu lassen.
    »Frau Anwältin, schön zu sehen, dass Sie sich in Form halten.« Der Detective trug Jeans, die am Saum schlammverschmiert waren, ein ausgeblichenes Flanellhemd, Jeansjacke und abgewetzte

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