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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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die Sprechstundenhilfe sah ihm entgegen, verständnislos wie ein Lampion – er eilte an ihr vorbei. Auch gegen die Tür zur Toilette stieß er, mit einer weit ausholenden, weltmännischen Geste, die ihm unendlich wohl tat, aber die Tür bewegte sich nicht. Erst, als er die sinnlose Plastikverriegelung umdrehte, ging sie auf. Stille, Kühle und Dunkelheit empfingen ihn. Ein Schwindelanfall kündigte sich an, es war aber gleich wieder vorbei. Er hatte sich unter Kontrolle, er war nicht wie die anderen. Seine Atmung war normal, konzentriert, nicht überspannt. Endlich hatte ihn auch der Bewegungsmelder erkannt und die Lichter gingen an, nach einem kurzen Blitzlichtgewitter wie für einen Filmstar auf dem roten Teppich.
    Templ zog sofort seine Hose aus und hielt die feuchten Flecken unter das laufende Wasser. Natürlich entstanden so nur noch größere Flecken, aber zum Teufel – es ging gar nicht um die Flecken, es ging um den
Schmutz
, den er doch nicht den ganzen Tag mit sich herumtragen konnte! Dieser hysterische, verrückte –
    Templ hielt die Hose unter die zischende Wassersäule und wendete sie ungeschickt hin und her, während er wegen des Uringestanks versuchte, durch den Mund zu atmen, und plötzlich – war seine Hoseklatschnass. Als hätte er darin ein Bad genommen. Er starrte auf das triefende Stoffknäuel in seiner Hand und drehte verwirrt den Wasserhahn ab. Es ergab alles keinen Sinn mehr.
    Nein, das konnte er unmöglich wieder anziehen. Und dazu noch eiskalt … Er versuchte, probeweise, einen Arm durch ein Hosenbein zu stecken. Die klebrige Kälte widerte ihn augenblicklich an und er zog die Hand schnell zurück. Nichts zu machen.
    Er fischte sein kleines, blaues Telefon aus der Tasche, das ebenfalls nass geworden war, und rief zuhause an. Nach ewigem Läuten ging seine Frau ran. Er schilderte ihr, was geschehen war. Sie erkundigte sich nach dem Kind. Er legte wütend auf.
    Wenn nicht einmal mehr seine Frau gewillt war, ihm in dieser misslichen Lage zu helfen, war er endgültig auf sich gestellt. Allein. Keine Hilfe mehr, nirgendwo, weit und breit.
    Es klopfte.
    Der Arzt machte die Tür einen Spaltbreit auf.
    – Sie können jetzt ins Behandlungszimmer kommen, sagte er.
    Der Tonfall des Arztes war unerhört. Streng, beleidigt, sogar etwas feindselig! Was hatte er für ein Problem? Störte er alle seine Patienten, während sie auf der Toilette waren? Templ zog zerknirscht die nasse Hose wieder an, stellte verärgert fest, dass sie anscheinend ein wenig größer geworden war, sodass seine Fersen den nassen Stoff nachschleiften, und stapfte aus der Toilette. Seine Schritte schmatzten über den Parkettboden der Praxis. Die namenlosen Menschen im Wartezimmer schauten ihm nach und er genierte sich.
    Kevin hatte seine Hose nicht gewechselt. VerdienteStrafe. Er stand mitten im Raum auf einem Handtuch, das den Boden vor Verunreinigungen schützen sollte. Gute Lösung, dachte Templ sarkastisch. Er sagte kein Wort zu seinem Sohn.
    – Lungenfunktion … leicht eingeschränkt, sagte der Arzt.
    Er deutete auf eine blau eingeringelte Zahl auf einem Blatt Papier.
    – Wieso?, fragte Templ sofort.
    – Das kann mehrere Gründe haben, sagte der Arzt und machte eine Pause.
    Er gab deutlich zu erkennen, dass es auch ihm unangenehm war, dieses Gespräch zu führen. Er hasste Templ, das war klar. Doch kein Logenbruder! Aber er musste, er musste höflich bleiben, das war doch immerhin sein Beruf, Herrgott! Templ spürte, wie er rot anlief angesichts der erlittenen Ungerechtigkeiten. Jetzt red’ schon. Seine Zähne mahlten aneinander.
    – Den genauen Grund zu bestimmen wird weitere Untersuchungen erfordern. Im Augenblick ist Asthma eher unwahrscheinlich. Eine allergische Reaktion, obwohl er gegen einige Dinge allergisch ist, wie der Test gezeigt hat, würde ich vorerst auch ausschließen.
    Templ hasste den Arzt für seine Erklärungen. Jetzt endlich hatte seine Frau etwas gegen ihn in der Hand, gegen ihn und für einen kostspieligen Umzug. Endlich hatte sie ein Dokument, ein Attest, einen Beweis. Dieser Angeber, dachte er. Sitzt da breit und überheblich in seinem Sessel und lässt die Patienten zu ihm in die Höhe blicken. Sehr raffiniert.
    Daheim wurde er von seiner Frau zur Rede gestellt.
    – Was soll das heißen, hysterisch.
    – Nichts.
    Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Es war sein Glück, dass sie das verschreckte Kind betreuen musste und nicht länger auf ihn einschimpfen konnte. Glück. Geh nur, dachte er,

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