Sokrats für Manager
herauszulas-sen, was wir wissen und was nicht, was wir glauben und was wir nicht für möglich halten. Fragen decken Wissen und Ignoranz auf. Und sie sind das ideale Werkzeug für den modernen Manager, der mündige Wissensarbeiter zu führen hat, nicht un-kritische Befehlsempfänger. Der moderne Manager braucht also vor allem die Kunst des Fragens. Er muss in der Lage sein, die wichtigsten Themen zu erkennen und dort gezielt traditionelle Standpunkte und Sichtweisen zu hinterfragen. Denn weil sich die Dinge ständig ändern, werden sich die entsprechenden Schwerpunkte kontinuierlich verschieben. Die daraus resultieren-de Unsicherheit ist groß. So wird die Kunst des Fragens eines der wichtigsten Instrumente zur Bewältigung dieser Unsicherheit. Außerdem kann sie Ihnen auf besondere Weise helfen, Mitarbeiter zu führen, deren Aufgabe es ja ist, in wesentlichen Details mehr zu wissen als Sie selbst. Gesichertes und strategisch eingesetztes Wissen wird zur neuen Erfolgswährung in einer turbulen-ten Welt. Um diese Art von Wissen zu erreichen, müssen Sie aber erst einmal die Grenzen des eigenen Wissens erkennen, Ihr Nichtwissen. Erst dann lässt sich systematisch eine sichere Wissensbasis aufbauen und aufrechterhalten.
Als moderner Manager müssen Sie dazu auch eine persönliche Standortbestimmung durchführen. Was sind meine Ziele und die Werte, auf die ich meine Entscheidungen gründe? Worin sehe ich eine geglückte Kombination aus beruflichem und privatem Erfolg? Vor allem, wie will ich Einfluss ausüben? Welche Art von Macht ist für meine Arbeit wichtig, und wie will ich sie idealerweise zum Nutzen aller einsetzen? Gerade in unserem modernen, hochkomplexen Umfeld wird es zusehends schwieriger, Struktur und nachvollziehbare Kontinuität in die eigenen Entscheidungsprozesse zu bringen. Orientierungs-wissen und die Fähigkeit, trotz aller Komplexität zum Kern von Problemen vorzustoßen und realistische, sinnvolle Lösungen zu finden, werden zunehmend wichtiger. Als Manager müssen Sie vor allem motivierende und glaubwürdige Wahrheiten identifizieren und im Managementprozess vertreten. Wie aber können solche wertvollen Erkenntnisse gewonnen werden? Lernen wir von Sokrates, der wie kein anderer die Kunst des Fragens und des Dialogs gepflegt und diese als Methodik der Wahrheitsfindung in die westliche Weisheitssuche eingeführt hat. Mit seiner Methode des Fragens, die er selbst mit der Hebammenkunst seiner Mutter verglich, weil er damit die Wahrheit ans Tageslicht förderte wie die Hebamme das Kind, hat Sokrates ein In-strumentarium geschaffen, das auch heute noch von Führungskräften erfolgreich beim Auffinden von optimalen Lösungen und Entscheidungen und bei der Mitarbeiterführung eingesetzt werden kann.
Sokrates’ Erste Philosophie
Sokrates betrieb eine »Erste Philosophie«, indem er radikal vom Menschen als zentralem Untersuchungsgegenstand ausging und keinerlei philosophisches Vorwissen bei seinen Dialogpartnern ver-langte. Er zeigte, wie man ein Problem ohne Vorwissen und Vorurteile an der Wurzel fassen und zu sinnvollen Einsichten gelangen kann. (Für Aristoteleskenner: Aristoteles verwandte später eine andere, themenbezogenere Definition von »Erster Philosophie«.) Für Sokrates waren Freundschaft und Hilfsbereitschaft wichtige Elemente seiner Philosophietätigkeit. Seiner Ansicht nach gehörte es zu einem gelungenen Leben, dass jemand nicht nur engstirnig seine Eigeninteressen verfolgte, sondern auch die berechtigten Fremdinteressen berücksichtigte. Ein Manager, der sich an Sokrates’ Ansatz orientiert, gewinnt Authentizität und Glaubwürdigkeit in seinem Bemühen, einen positiven Beitrag nicht nur zum eigenen Erfolg, sondern zum Erfolg des Gesamtunternehmens und seiner Mitarbeiter zu leisten. Sokrates betonte das Primat der Erkenntnis. Bevor ein Mensch richtig handeln kann, muss er richtig denken. Entscheidend sind dabei die Erkenntnis des eigenen Nichtwissens (denn nur dann wird man entsprechende Erkenntnis anstreben), die Selbsterkenntnis und am Ende die Erkenntnis der Wahrheit und des Guten. Diese drei Erkenntnisar-ten bilden dann eine ideale Entscheidungs- und Handlungsbasis. So legte Sokrates mit seiner Methodik und seiner Thematik die Grundlage für unsere westliche Denkkultur. Er hatte direkt prägenden Einfluss auf Platon und indirekt auch Einfluss auf Aristoteles und alle nachfolgenden Philosophen. Der berühm-te britische Denker Alfred N. Whitehead ging so weit zu
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