Sokrats für Manager
erstaunliches Nichtwissen in den entscheidenden Fragen an den Tag: »Indem ich also fort ging, gedachte ich bei mir selbst, als dieser Mann bin ich nun freilich weiser. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen, allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht, ich scheine also um dieses Wenige doch weiser zu sein als er, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.«
Wer sich seines Nichtwissens bewusst ist, ist weiser als jener, der glaubt, alles zu wissen. Sokrates musste feststellen, dass er dem berühmten Staatsmann zumindest darin überlegen war, dass er sein eigenes Nichtwissen erkannt hatte und auch nicht der Illusion von angeblichem Wissen erlag. Als er danach einen noch angeseheneren Staatsmann in ein Gespräch verwickelte, um dessen Weisheit zu ergründen, stieß er auch dort nur auf viel Arroganz und Scheinwissen, nicht aber auf echte Weisheit. Nachdem er das Nichtwissen der berühmtesten Staatsmänner Athens offen gelegt hatte, kam Sokrates zu einer für ihn verblüffenden Erkenntnis: »Die Berühmtesten dünkten mich beinahe die Armseligsten zu sein, wenn ich es dem Gott zufolge un-tersuchte, andere minder Geachtete aber noch eher für vernünftig gelten zu können.«
Das Nichtwissen der Dichter
Bei den großen Rednern und politischen Experten war Sokrates also unerwartet auf viel Arroganz und Ignoranz gestoßen, nicht aber auf fundiertes Wissen. Ernüchtert wandte er sich einer weiteren Gruppe von Männern (Frauen und Sklaven zählten in Athen trotz aller demokratischen Bestrebungen noch nicht viel) zu: den Dichtern, die als die intellektuelle Elite der Stadt galten und für ihre Werke berühmt waren. Zumindest hier erwartete Sokrates, dass er sich unwissender als diese erweisen würde. Aber auch hier musste er feststellen, dass die Dichter sogar meist weniger über den Hintergrund und die Bedeutung ihrer eigenen Werke wussten als ihre Interpreten und Kritiker: »Um es nämlich gerade heraus zu sagen, fast sprachen alle Anwesenden besser als sie selbst über das was sie gedichtet hatten. Ich erfuhr also auch von den Dichtern in kurzem dieses, dass sie nicht durch Weisheit dichteten, was sie dichten, sondern durch eine Naturgabe und in der Begeisterung, eben wie die Wahrsager und Orakelsänger. Denn auch diese sagen viel Schönes, wissen aber nichts von dem, was sie sagen, eben so nun ward mir deutlich, dass es auch den Dichtern erginge. Und zugleich merk-te ich, dass sie glaubten, um ihrer Dichtung willen auch in allem Übrigen sehr weise Männer zu sein, worin sie es nicht waren.« Enttäuscht musste Sokrates feststellen, dass die Dichter zwar nachweislich hochkreative Leistungen erbracht hatten, aber nicht aus Wissen und Weisheit heraus, sondern lediglich aufgrund eines natürlichen Talents. Gesichertes Wissen war auch von ihnen nicht zu erhalten.
Das Nichtwissen der Handwerker
Nach den Politikern, Rednern und Dichtern wandte sich Sokrates zuletzt an die »Macher« seiner Zeit: »Zum Schluss nun ging ich auch zu den Handwerkern. Denn von mir selbst wusste ich, dass ich gar nichts weiß, um es geradeheraus zu sagen, von diesen aber wusste ich doch, dass ich sie vielerlei Schönes wissend finden würde. Und darin betrog ich mich nun auch nicht, sondern sie wussten wirklich, was ich nicht wusste, und waren in sofern weiser. Aber, ihr Athener, denselben Fehler wie die Dichter, dünkte mich, hatten auch diese trefflichen Meister. Weil er seine Kunst gründlich erlernt hatte, wollte jeder auch in den andern wichtigsten Dingen sehr weise sein, und diese ihre Torheit verdeck-te jene ihre Weisheit.« Selbst bei den Baumeistern und Kunsthandwerkern fand Sokrates also nichts als Selbstüberschätzung und ausgeprägtes Scheinwissen, wenn es um Fragen der Weisheit ging. Am Ende blieb Sokrates nur die resignierte Einsicht, dass alle von ihm Befragten nicht einmal wussten, dass ihr Wissen fehlerhaft und mangelhaft war. Daher musste er entgegen seiner eigent-lichen Erwartungen zu dem Schluss kommen, dass er selbst in der Tat der Weiseste war. Schließlich war er sich zumindest des eigenen Nichtwissens bewusst.
Erfahrungen durch Wissen festigen
Wer Platons Dialoge liest, bei denen Sokrates wohl zumindest in den frühen Werken in seiner eigenen Anschauung und Methodik dargestellt wurde, der kann nicht umhin, den Scharfsinn dieses beschei-denen Fragers zu bewundern.
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