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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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beantworten. Innerhalb von sechs Wochen erhielt Brabys Team - ein halbes Dutzend schlechtbezahlte promovierte wissenschaftli che Mitarbeiter, die in vier Wohncontainern auf dem sumpfigen Acker untergebracht waren - Hunderte von Vorschlägen. Die meisten stammten von Eigenbrötlern, die in dunklen Schuppen arbeiteten, andere von Start-up-Firmen mit schmissigen Logos und angemeldeten Patenten.
    Im Winter 1999 hatte Beard bei seinen wöchentlichen Besuchen auf der Baustelle gelegentlich einen Blick in die auf einem behelfsmäßigen Tisch vorsortierten Stapel geworfen. Aus dieser Lawine von Träumen kristallisierten sich einige Ideen heraus. Da gab es zum Beispiel die Vorschläge, die Wasser als Treibstoff für Autos benutzten und die Emissionen - den austretenden Wasserdampf - in den Motor zurückleiteten; ferner Varianten von Elektromotoren oder Generatoren, die mehr Energie erzeugten, als sie verbrauchten, und offenbar mit Vakuumenergie arbeiteten - einer Energieform, die vermeintlich im leeren Raum existierte -, und schließlich solche, die nach Beards Überzeugung gegen das Lenzsche Gesetz verstießen. Es handelte sich durchweg um Spielarten des Perpetuum mobile. Alle diese Freizeiterfinder schienen nichts von der langen Vorgeschichte ihrer Kreationen zu wissen oder davon, dass sie, wenn sie wirklich funktionierten, damit sämtliche Grundlagen der modernen Physik über den Haufen werfen würden. Die Erfinder der Nation rannten gegen den ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik an, als seien sie keine Wand aus Blei. Einer der Nachwuchswissenschaftler schlug vor, die Ideen nach den Hauptsätzen zu sortieren, gegen die sie verstießen, den ersten, den zweiten - oder alle beide.
    Die Einsendungen hatten noch etwas anderes gemeinsam: Sie enthielten keine Zeichnungen, nur einen Brief, manchmal eine halbe Seite lang, manchmal zehn. Darin erklärte der Verfasser, zu seinem Bedauern könne er - es war immer ein Er - keine detaillierten Pläne beifügen, denn die kostenlose Energie, die seine Maschine liefere, würde eine wichtige Steuereinnahmequelle zum Versiegen bringen und stelle insofern eine Bedrohung für die Regierung dar. Oder aber die Armee werde sich der Idee bemächtigen, sie für streng geheim erklären und dann für den eigenen Gebrauch weiterentwickeln. Oder die Produzenten konventioneller Energie würden ihm, dem Erfinder, einen Schlägertrupp auf den Hals hetzen, um sich ihre marktbeherrschende Stellung zu sichern. Oder jemand werde die Idee stehlen und damit ein Vermögen machen. So etwas sei bekanntlich alles schon vorgekommen, fügten manche Briefschreiber hinzu. Die Zeichnungen würden daher nur an einem noch zu bestimmenden Ort einem Vertreter des Instituts und nur unter Einschaltung von Mittelsmännern ausgehändigt.
    Der Tisch in Container Nummer zwei, fünf Bauplanken auf zwei Böcken, bog sich unter sechzehnhundert Briefen und ausgedruckten E-Mails, nach Eingangsdatum sortiert. Alle mussten beantwortet werden, damit der Minister mit seinen Beziehungen zur Downing Street Nr. 10 nicht sein Gesicht verlor. Braby, ein gebeugter Mann mit breitem Kinn, war wütend über die Zeitverschwendung. Wütend, aber willfährig. Beard war dafür, den ganzen Berg zusammen mit einigen Musterantworten an das Ministerium in London weiterzuleiten. Aber Braby witterte eine Chance auf seine Erhebung in den Ritterstand, Mrs Braby konnte es schon gar nicht mehr erwarten, und wenn er den Minister jetzt verärgerte, platzte die Sache womöglich. Also wurden die Nachwuchswissenschaftler eingespannt, und das erste Projekt des Instituts - ein Windgenerator für Stadtdächer - musste um Monate verschoben werden.
    Umso ausführlicher konnte sich Beard, dem kläglichen Endspiel seiner fünften Ehe noch nicht ganz entronnen, den von den wissenschaftlichen Mitarbeitern so getauften »Genies« widmen. Ihn faszinierte die Besessenheit, die Paranoia, die Rastlosigkeit und vor allem das Pathos, das diese Zuschriften verströmten. Steckte in manchen dieser Briefe, so fragte er sich, nicht eine Variante seiner selbst, ein Parallel-Beard, dem Alkohol, Sex, Drogen oder bloßes Pech eine akademische Ausbildung in Physik und Mathematik verhagelt hatten? Und der dennoch unbedingt mitdenken, mitbasteln und einen Beitrag leisten wollte? Einige dieser Männer waren wirklich klug, und nur ihr überspannter Ehrgeiz war schuld daran, dass sie das Rad neu erfinden wollten oder hundertzwanzig Jahre nach Nikola Tesla den Induktionsmotor, oder dass

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