Chill Bill (German Edition)
KOKAIN
Rio de Janeiro, 13. Februar.
Später würde man sagen, mit der Erstürmung von São José do Matosinho sei die Lawine ins Rutschen gekommen. Es waren keine drei Wochen mehr bis zum Karneval, genau genommen zwei Wochen und ein Tag. Diese Zeit hätte manchem Polizisten gerade gereicht, um sich für die Strapazen der kommenden Nachtschichten auszuruhen, aber den Gedanken konnten sich die Bereitschaftspolizisten abschminken. Der neue Chef der Militärpolizei hatte sich die Sache in den Kopf gesetzt. Es war nichts mehr daran zu ändern. Seine Jungs wussten, was sie in São José do Matosinho erwartete. Das Gebiet war groß, unübersichtlich und seit Jahren gesetzesfreie Zone.
Pedro Jorge Mangueira Filho, genannt Pedrinho Maluco, der verrückte Pedrinho, wurde verdächtigt am internationalen Kokainhandel beteiligt zu sein. Der Hinweis ging wahrscheinlich auf die
Drug Enforcement Agency
zurück. Bei den Pressekonferenzen trieben sich eigens aus den USA angereiste DEA-Leute herum. Sie hielten sich im Hintergrund und beobachteten. Aber jeder, der die Augen offenhielt, wusste, dass sie von ihrer Drogenbehörde nicht nach Brasilien geschickt worden waren, um etwas dazuzulernen.
Nach vorsichtigen Schätzungen hielten sich auf dem Gebiet von São José do Matosinho dreißig zum Teil schwer bewaffnete
Traficantes
auf, Kokainschieber. Sie waren in der Regel jünger als achtzehn, kannten nichts als Loyalität zu ihrem Boss und Spaß an hemmungslosen Schießereien. Sie würden keinen Zentimeter widerstandslos hergeben. Es war klar, dass einige Militärpolizisten bei der Erstürmung draufgehen würden. Und kein Mensch wusste, wofür. Die
Traficantes
konnte man auf diese Weise nicht unter Kontrolle bringen. Sobald man einen der Chefs ausschaltete, sprangen massenweise jüngere Generationen in die Bresche. Die
Favelas
waren voll von jungen Spunden, die nur auf ihre große Chance warteten. Man konnte beobachten, die eine oder andere große Lieferung abfischen, man konnte versuchen, das Verbrechen zu kanalisieren, mehr war nicht drin. Die geplante Aktion war so überflüssig wie unsinnig. Mehrere Polizisten würden den Karneval nicht mehr erleben, ihre Frauen würden sich die Augen ausweinen, statt auf den Straßen Samba zu tanzen. Etliche würden mit Glück im Krankenhaus landen. Die jungen
Militares
hatten die Hosen gestrichen voll.
Um drei Uhr morgens ging es los. Etwa vierhundert Polizisten riegelten die Gegend handstreichartig ab. Zwei Lkws mit trainierten Schützen rasten auf die Unterkünfte und vermuteten Kommandozentralen zu. Helikopter schwebten über den Baumwipfeln und schossen auf alles, was sich bewegte. Sogar zwei kleine Panzer kamen zum Einsatz.
Die DEA-Leute werteten die Erstürmung von São José bereits als Erfolg, da lief die Aktion noch. Erbitterte Schießereien waren im Gange.
In den frühen Morgenstunden bezeichnete ein Polizeisprecher Pedrinho Maluco als flüchtig. Carlos Soncine Filho, ›der Italiener‹, konnte dingfest gemacht werden. Laut offiziellen Angaben war er der regionale Chef, Ortskundige hingegen bezeichneten ihn als ›eher kleines Licht‹. Die Polizei fand einige Pässe und Reiseunterlagen nach Paraguay und Italien auf die Namen Arnoldo Rebeiro und Benjamin Gundstein. Bisher war nicht einzuschätzen, ob diese Personen der Bande angehörten oder die Pässe schlichtweg gefälscht waren.
Agenten ermittelten weiterhin, dass sich das Areal in Cabuçu unter der Kontrolle von Mauricio Machado do Espirito befand, einem weiteren Boss der
Traficantes
.
Dieser entkam in einem blauen Fiat Uno zusammen mit Tonho, Ninho, Negão und Prão. Sie waren mit AR-15, AK-47, Maschinengewehren und Pistolen bewaffnet. Über Opfer der Schießereien wurden keine Angaben gemacht.
VINCENT
Ankunft des Fluges LH-500 in Rio de Janeiro zwei Stunden zu früh. Vincent presste die Lippen zusammen und reihte sich in die Schlange zur Passkontrolle ein. Die Uhr sprang auf sechs. Der Killer schlug am Flughafen Zeit tot, während der Kontaktmann ahnungslos im Apartment saß! Vincent versuchte es mit beruhigenden Atemübungen. Kein Profi konnte solche Dinge voraussehen. Zu spät kommt häufig. Zu früh kommt nur der Tod.
Ein aufmerksamer Blick des Zollbeamten glitt durch Vincents Pass, fokussierte auf sein Gesicht und rutschte an seiner Kleidung nach unten. Eins achtzig, blond, wenig Gepäck, weißes T-Shirt, schwarze Lederjacke, Jeans, Boots, Stempel drauf, Nächster! Vincent quetschte sich in die Ankunftshalle.
Etwa
Weitere Kostenlose Bücher