Solaris
fortwährend gleich; die Fensterklappen schoben sich herab und hoben sich, nachts wälzte ich mich aus einem Alptraum in den anderen, morgens standen wir auf, und das Spiel begann, aber war das ein Spiel? Ich gab Ruhe vor, und Harey gab dasselbe vor; dieses stillschweigende Einverständnis, das Wissen um den wechselseitigen Betrug, wurde zu unserer letzten Zuflucht. Denn wir sprachen viel davon, wie wir auf der Erde leben wollten, irgendwohin in die Nähe einer großen Stadt ziehen und nie wieder den blauen Himmel und die grünen Bäume verlassen, und wir dachten uns gemeinsam die Einrichtung unseres künftigen Hauses aus, des Gartens… und wir stritten sogar über Einzelheiten… über die Hecke, über eine Sitzbank … glaubten wir an das alles auch nur eine Sekunde lang? Nein. Ich wußte, daß es unmöglich war. Ich wußte das. Denn selbst wenn Harey die Station verlassen konnte - und leben -, dann konnte auf der Erde nur ein Mensch landen, und der Mensch besteht in seinen Papieren. Die erste Kontrolle mußte diese Flucht beenden. Die Leute würden Harey zu identifizieren suchen, also würden wir zuallererst getrennt, und dies verriete sie sofort. Die Station war der einzige Platz, wo wir miteinander leben konnten. Ob Harey das wußte? Gewiß. Ob es ihr jemand gesagt hatte? Es scheint so, im Lichte alles dessen, was noch geschah.
Einmal in der Nacht hörte ich im Schlaf, daß Harey leise aufstand. Ich wollte sie an mich ziehen. Nur mehr schweigend, nur mehr in der Finsternis konnten wir noch für Augenblicke frei werden, in Selbstversunkenheit, die nichts als das momentlange Stillstehen der Folter war, so sehr hielt uns die Verzweiflung von allen Seiten eingekesselt. Harey hatte wohl nicht bemerkt, daß ich erwacht war. Ehe ich den Arm ausstreckte, war sie aus dem Bett draußen. Noch immer kaum halbwach hörte ich das Geräusch bloßfüßiger Schritte. Unklare Furcht erfaßte mich.
- Harey? - flüsterte ich. Ich wollte laut rufen, aber ich traute mich nicht. Ich setzte mich im Bett auf. Die Tür zum Korridor war nur angelehnt. Als feine Nadel zog sich ein Lichtstrahl schräg durch die Kabine. Ich meinte gedämpfte Stimmen zu hören. Harey sprach mit jemandem? Mit wem?
Ich sprang aus dem Bett, aber mich packte so gräßliche Angst, daß die Beine den Dienst versagten. Ich stand eine Weile lang und horchte - es war still. Langsam schleppte ich mich zum Bett. Der Puls hämmerte mir im Kopf. Ich begann zu zählen. Bei tausend brach ich das ab, die Tür schob sich geräuschlos auf, Harey glitt herein und hielt inne, als lauschte sie meinem Atem. Ich suchte ihn regelmäßig zu machen. - Kris…? - flüsterte sie ganz leise. Ich meldete mich nicht. Sie schlüpfte schnell ins Bett. Ich spürte, wie sie da ausgestreckt lag, und ich lag neben ihr, leblos, ich weiß nicht, wie lange. Ich versuchte, Fragen zurechtzulegen, aber je mehr Zeit verstrich, um so besser verstand ich, daß ich nicht als erster sprechen sollte. Nach einiger Zeit, vielleicht nach einer Stunde, schlief ich ein.
Der Morgen war so wie immer. Nur wenn es Harey nicht sehen konnte, schaute ich sie argwöhnisch an. Nach dem Mittagessen saßen wir nebeneinander dem gewölbten Fenster gegenüber, tief fliegende rostrote Wolken glitten daran vorbei. Die Station segelte zwischen ihnen wie ein Schiff. Harey las ein Buch, und ich verharrte in solchem selbstvergessenem Schauen, wie es nun so oft zur einzigen Erholung wurde. Ich bemerkte, daß ich, bei ganz bestimmter Neigung des Kopfes, in der Scheibe unser beider Spiegelbild sehen konnte, durchsichtig, doch deutlich. Ich nahm die Hand von der Stuhllehne. Harey - ich sah das in der Glasscheibe - Harey vergewisserte sich durch einen raschen Blick, daß ich auf den Ozean schaute, neigte sich über die Stuhllehne und berührte sie mit den Lippen an der Stelle, die vorhin ich berührt hatte. Ich blieb weiterhin sitzen, unnatürlich steif, und Harey neigte den Kopf über das Buch.
- Harey - sagte ich leise - wohin bist du heute nacht weggegangen?
- Heute nacht?
- Ja.
- Da… hast du etwas geträumt, Kris. Ich bin nirgends hingegangen.
- Du bist nicht weggegangen?
- Nein. Das mußt du geträumt haben.
- Möglich - sagte ich. - Ja, kann sein, daß ich das geträumt habe…
Am Abend, als wir schon zu Bett gingen, begann ich wieder von unserer Reise zu sprechen, von der Rückkehr auf die Erde.
- Ach, davon mag ich nichts hören - sagte Harey. - Sprich nicht
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