Sommer in Lesmona
wieder die Kur, und sie sind wirklich schon fast weg. Neulich las ich mal
in einem französischen Buch, daß eine Frau häßlich würde, wenn sie verschmäht
wird. Da Dr. Retberg mich nun verschmäht, werde ich also jetzt häßlich.
Gottseidank hat meine Figur noch nicht darunter gelitten!
Heute abend wollen wir mit Professor
Dausch in die Oper. Es ist so gut, daß wir ihn hier haben. Er besorgt uns alle
Plätze und ist der reinste Fremdenführer.
In inniger Liebe
Deine Matti
Rom, den 14. April 94
Liebe einzige Bertha!
Gestern war Dein Vetter, Professor
Elking, bei uns, der hier im Archiv ist. Er ist ganz besonders nett, aber sehr
taub.
Mein Fieber hat übrigens nur 3 Tage
gedauert. Wir waren inzwischen auf dem großen Rennen, und alles interessierte
mich glühend. Die Eltern trafen viele Bekannte, darunter sehr viele elegante
Leute aus Frankfurt und London. Angesichts dieser Welt entdeckte Mama, daß ich
angezogen wäre wie ein Mistkäfer. Sie selbst sieht ja immer so vornehm aus.
Aber nun sah sie ein, daß ich aussah, als käme ich aus Gröpelingen. Abends
waren beide Eltern furchtbar zärtlich zu mir und sagten, es wäre doch so nett,
daß Du und ich so wenig Wert auf teure Kleider gelegt hätten. Du hättest ja nun
als Braut schon sehr schöne Sachen aus Hannover bekommen, und ich sollte jetzt
in Wiesbaden ganz neu ausgesteuert werden! Wir haben wirklich beide wenig an unsere Kleider gedacht, und für Bremen hat es ja noch immer genügt.
Die Museen und endlosen Gemälde
interessieren mich im Grunde sehr wenig. Dr. Retberg, dieses treulose Subjekt,
der mich sitzenließ, sagte damals, man müsse nur den künstlerischen Wert eines
Bildes erkennen und imstande sein, das Sujet ganz davon zu trennen. Das kann ich
aber nicht. Wenn ich auf dem Bilde sehe, daß einer Frau die Brüste ausgerissen
werden oder daß ein Heiliger geröstet oder aufgespießt wird, kann ich mich
unmöglich über die Malerei freuen, sondern es graust mich. Der gute Vater
schleift uns überall hin, und ich streiche alles rot an, was ich gesehen habe.
Mich interessiert viel mehr das Volk, das Land und das Leben der Menschen.
Nun schreibe Du jetzt bitte schon nach
Florenz, Hotel d’Angleterre, und grüße Deinen John tausendmal. Sein Telegramm
an Dich «Es muß doch Frühling werden» finde ich ganz bezaubernd.
In inniger Liebe
Deine Matti
Florenz, den 22. April 94
Meine liebste Bertha!
Gleich am ersten Tage sind wir bei
Tante Marie du Frèsne gewesen, und ich bin ganz erschüttert von dem Besuch. Ihr
Haus in Fiesole ist sehr klein, aber es ist direkt angebaut an einen Hügel. Der
Blick über die Berge, über Florenz in endloser Weite ist nichtzusagen schön.
Denke Dir, der alte Koch, der alte Diener und die alte Jungfer sind für einen
kaum zu nennenden Betrag in ihrer Stellung geblieben. Sie haben ihr Leben bei
ihr und können sich nicht von ihr trennen.
Wir fahren nun doch etwas früher weg,
und zwar über Mailand, Bodensee, Frankfurt a. M. nach Wiesbaden, wo wir einige
Tage bleiben und Mamas Cousine, Frau von Gärtner, besuchen. Die Tochter Lina
war einmal acht Tage bei uns in Bremen, und Du erinnerst sie wohl noch? Sie ist
ganz reizend, etwas älter als wir.
Wir wollen Anfang Mai in Bremen sein.
Dann wird aber unser Haus noch gemalt, und die Eltern fahren gleich wieder weg
nach Wildungen. Ich soll dann einige Tage zu Heinz und Rena Retberg, weil es zu
Haus mit den Handwerkern zu ungemütlich ist, und dann für den ganzen Sommer zu
Onkel Herbert nach Lesmona.
Nun weißt Du unsere Pläne! Ob Du Anfang
Mai noch in Bremen bist? Es wäre zu schrecklich, wenn Ihr vor mir nach Darneelen
führet.
Dr. Retberg haben wir nicht getroffen.
In inniger Liebe
Deine Matti
Baden-Baden, Hotel Stephanie
den 26. April 94
Meine liebe einzige Bertha!
Nun sind wir hier gelandet, weil
Papa plötzlich noch ein paar Tage in Baden-Baden sein wollte. Die Reise verlief
sehr glatt, und ich freue mich, hier nun den deutschen Frühling mit frischem
Grün zu erleben. Baden-Baden ist ja ganz himmlisch, und ich genieße die
Wagenfahrten in das blühende Land ganz enorm.
Mama hat hier schon angefangen, mir
neue Sachen zu kaufen, ganz entzückende Schuhe, weiße und braune, einen Hut und
ein dunkelblaues Kostüm. Es hat alles mehr chic als die Sachen in Bremen. Ich
schicke Dir morgen einen Shawl, hellblaue Seide, und einen in rosa, die Mama
und ich in Florenz für Dich gekauft haben. So ein Shawl reicht gerade für
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