Sommer in Lesmona
freilich eines mit großer natürlicher Darstellungskraft, scharfem
Blick und treffendem Witz begabten Mädchens, — aber sie sind absichtslos
geschrieben, frei aus dem Gefühl des Augenblicks, durchblutet von Leben,
unverändert wiedergegeben, zudem von Lücken durchsetzt, — und dennoch ist
dieses Naturprodukt durchaus «kunstgleich», es fehlt ihm keines der Elemente
echter Dichtung:
Wie, gleich eingangs im ersten Briefe,
der Leser mitten ins Geschehen geworfen wird, wie er sofort die
lebenssprühende, reizvolle kleine Person der Schreiberin aus ein paar
wesentlichen Zügen rundherum kennenlernt, wie er im Nu gefesselt wird von der
Lust und Spannung ihres jungen Daseins — wie dann in farbiger Veränderung und
langsamer Steigerung die drei Vorerlebnisse, jedes auf seinen eigenen Ton
gestimmt, präludierend und die Basis der Erzählung verbreiternd hinführen zum
Hauptthema — wie in diesem selbst die Figuren kunstvoll und mit souveräner
Sicherheit verteilt sind — der kühle, unbewegte Rudi (gleich seine erste
Erwähnung geschieht in leichtem Ärger, durch den Anziehung, Abwehr und Beklommenheit
hindurchschimmern, und später hat man immer das Gefühl, als trete er selbst gar
nicht auf, sondern wandle nur wie ein Schatten über die Szene, sie tragisch
verdunkelnd) — Percy sodann, scheinbar nebensächlich in einer Nachschrift
eingeführt, die sein Eintreffen meldet, aber sie wirkt wie eine Herzklopfen
verbergende List — und mit ihm anhebend im nächsten Briefe die unbeschreibliche
Verzauberung der Liebe, die Tage von Lesmona, ein jeder Tag den anderen neu und
noch schöner erfüllend, ein jedes Erlebnis höher hinaufführend in die
atemraubende Steigerung und tiefer hinein in die herzbeklemmende Verstrickung,
bis dann plötzlich des Schicksals Hammer schlägt mit der Frage nach dem
Fünf-Jahre-warten-Können — so fein und bedeutsam vorbereitet, wie man sich nun
entsinnt, durch die harmlose Liebhaberfrage im allerersten Briefe, ob sie ein
Jahr auf ihn warten werde und wie nun im folgenden menschliche Unzulänglichkeit
und Liebesleid, echte Verzweiflung und ein hilfloses und fast magisches
Gebanntsein zu immer volleren Tönen führen, bis am Schluß der entsetzliche
Schlag, der die Heldin ihrer letzten Stütze beraubt, ganz unerwartet fällt und
die Erzählung endet, während nun der Festakt der Hochzeit, auf den doch alles
erschütternd zusteuerte, im unerzählten Zukunftsdunkel verbleiben muß — und wie
in dieser so einfachen und raffiniert bezaubernden Erzählung die Nebenfiguren
verteilt sind, der köstliche Onkel, die witzige Susi, der treue Max, die
wundervolle Linsche, dieser matronenhafte Leporello, — inmitten des Flusses der
Hauptmelodie aber ahnungsvoll und tiefsinnig die symbolhaltigen Begleitmotive
mitschwingen — der Distelstrauß, das zerbrochene Nachtgeschirr, die Geschichte
mit dem Hummer, die geschenkten Schmuckstücke, das wechselnde Betragen der
Hunde — dies alles, das dem Leser noch ein zweites Mal vor Augen zu führen
unsere Ergriffenheit nun doch nicht umhin konnte, erscheint vom ersten bis zum
letzten Worte täuschend wie von der Hand eines großen Meisters der Dichtkunst
vorbereitet, durchempfunden, sorgsam abgewogen und unübertrefflich dargestellt!
Es ist auch keine Lösung dieses
Rätsels, sondern nur dessen Zurückführung auf den innersten Rätselkern, wenn
wir uns hilfsweise darauf berufen, daß hier die starke Persönlichkeit der
Schreiberin, deren Strahlung magnetisch die ihr entsprechenden Ereignisse und
Schicksale angezogen und um sich gruppiert habe, wohl einmal die ordnende Hand
und Vernunft eines Künstlers ersetzt haben könne. Dies bleibt schon wunderbar
genug, und das Wesentliche bleibt unauflöslich.
So genüge uns denn die Feststellung,
daß ein solches unbewußtes Werk einer Mädchennatur entweder weit unterhalb der
Ebene verbleiben muß, in der Kunstbemühungen beginnen, oder aber, in seltenen
Augenblicken glücklichen «Zufalls», traumwandelnd mit einem Schlage dort
anlangen kann, wo dem Bewußtsein des Künstlers das Letzte, Äußerste gelingt.
Wir sind davon überzeugt, hier, mit
diesen Briefen, ein solches hohes Zufalls-Kunstwerk des Lebens in Händen zu
halten. In unseren Bemühungen, die Vernichtung dieser Briefe zu verhindern,
ihre unveränderte Veröffentlichung durchzusetzen, leitete uns der gewisse
Glaube, die Liebesdichtung unseres Volkes bereichern zu können um ein kleines,
aber unschätzbar wertvolles Glied, in welchem still und leicht
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