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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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streng an, er brach ab und konzentrierte sich wieder.
    »Was ich eigentlich sagen wollte: Wenn ich mir als Kerl eine Tube Feuchtigkeitscreme kaufe, dann will ich mich dabei nicht fühlen wie meine Ehefrau, bevor sie abends ins Bett geht. Dann hat die nämlich auch immer so Schmiere im Gesicht. Ich bin ein Mann, verdammt!«
    »Die Frau mit Gurkenmaske im Gesicht – was für eine trostlose Ehe«, warf nun der Beamer an die Wand.
    »Hat sie auch eine Wärmflasche dabei?«, fragte nun der Nächste.
    »Und er lässt die Socken an!«
    Nun schaute Heinlein ehrlich empört. Und er machte einen Fehler, er ließ sich zu sehr von den Twitter-Kommentaren ablenken. Er beugte sich über das Stehpult und sagte laut:
    »Meine Frau und ich haben immer noch guten Sex. Muss man echt sagen. Auch nach den vielen Jahren. Ich will nicht sagen, dass ich nicht auch mal woanders genascht habe. Aber am Ende …«
    »Mir wird schlecht«, reagierte jemand prompt.
    »Wer will das hören«, ein anderer.
    Sophie räusperte sich. »Herr Heinlein«, sagte sie laut in den Raum, »bitte konzentrieren Sie sich auf Ihr Thema.«
    »Also, um die Kurve zu kriegen: Der Erfolg der Männerkosmetik kam mit dem neuen Marketing. Jetzt steht ›Sport‹, ›X-treme‹, ›cool‹ und ›Power‹ auf der Packung. Denn wir Männer sind anders. Wir färben uns nicht die Haare, wir tunen. Wir saugen nicht, wir kärchern. Wir machen keine Betten, nein, wir bauen sie. Seitdem die Kosmetikindustrie so umgeschwenkt ist, verkauft sich der Kram auch. Enorme Gewinnzuwächse. Denn wir sind Testosteron, kein Östrogen.« Heinlein redete sich nun regelrecht in Rage, die Durchblutung im Gesicht nahm zu, seine Bäckchen glänzten rot.
    »Achtung, die rote Alarmleuchte geht an«, witzelte jemand.
    »Gleich springen vom Hemd die Knöpfe ab, und Superman steht vor uns.«
    »Geballtes Testosteron mit Bauchansatz.«
    »Holt mir meine Luger!«
    »Und eine Wimperntusche in der Stahlkartusche.«
    Die letzten Bemerkungen schienen Heinlein ganz gut zu gefallen, sie stachelten ihn an. Nun wurde er noch mutiger und sprach verschwörerisch zu seinen Zuhörern.
    »Ich habe mich auf diese Assessment-Veranstaltung vorbereitet. Ein Job in der Kosmetikbranche, so viel war ja bekannt. Wollt ihr wissen, was ich gemacht habe?« Das »Du« kam ihm ganz selbstverständlich über die Lippen.
    »Botox gespritzt? Schließlich ein Nervengift, vom Militär entwickelt. Sehr männlich!«
    »Der und Botox? Das wäre ja ein trauriges Ergebnis.«
    »Zur Vorbereitung kleinen Feigling gezischt«
    »Würde die roten Äderchen erklären.«
    Sophie schaute mahnend in die Runde, sie fand den Twitter-Ton zu abfällig. Zu ihrem Erstaunen aber machte Heinlein unbeeindruckt weiter.
    »Ich war in der örtlichen Parfümerie. Das hat mich umgehauen. Es gibt ja inzwischen alles für uns Kerle: Anti-Aging-Creme, Peeling, Kühlpads für die Augen, Gele, Seren, den ganzen Kram. Sogar eine Pinzette für Männeraugenbrauen habe ich gefunden. Wo kommen wir denn da hin? Soll ich mir etwa die Augenbrauen zupfen?« Bei dem Wort »zupfen« ruderte er empört mit den Armen.
    »Männer zupfen nicht, sie jäten«, erschien nun an der Wand.
    »An wen erinnern euch seine Brauen?«
    »Theo Waigel!«
    »Den Ötzi.«
    »Gargamel.«
    Seit Beginn des Vortrages hatten alle ihn verspottet, doch nun stand fest: Heinlein war ein Provinzei. Das Augenbrauenzupfen entlarvte ihn. Jeder Idiot wusste, dass immer mehr Männer ihre Augenbrauen in Form brachten. Für die Heranwachsenden in der Großstadt war das längst normal. Augenbrauenzupfen gehörte zum Hier und Heute, genauso wie Männerkosmetik allgemein. Wer das alles noch so aufregend fand wie Heinlein, der outete sich als gestrig. Der Vorsprung, den er in den Augen der anderen noch durch die Luger-Aktion gehabt hatte, schmolz nun dahin. So schnell wie Kunstschnee in Zeiten der Klimaerwärmung. Der Mann war eine Witzfigur.
    »Frida Kahlo«, schrieb nun ein Vierter, der sich ebenfalls über Heinleins Augenbrauen amüsierte.
    Die mexikanische Malerin schien Heinlein ein Begriff zu sein, er regte sich furchtbar auf.
    »Ich bin doch keine Frau«, schrie er empört auf. Doch niemand im Raum antwortete ihm direkt, die ganze Kommunikation lief ja anonym über die Pads. Die anderen Kandidaten saßen ihm äußerlich so neutral gegenüber, als halte er gerade bei der IHK einen Vortrag über mittelständische Betriebsführung. Niemand lachte, nur die Finger flogen weiter über die Touchscreens.
    »Stimmt –

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