Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
doch.“
„Du redest Blödsinn.“ Ihre Wangen überzogen sich mit einer leichten Röte, was ihm unglaublich gut gefiel. Sie drehte sich weg. „Wie wäre es, wenn du mir zeigst, wie man … ich weiß nicht. Die Schotten dichtmacht, die Segel setzt.“
Okay, sie wollte also nicht mit ihm flirten. Er zeigte ihr, wie man die Segel setzte, dann bat er sie, seinen Großvater zu holen. Mit seinen Segelschuhen, einem V-Ausschnitt-Pullover und dem ausgefransten Hut, den er seit Jahren besaß, sah Granddad aus wie früher. „Alles Klarschiff, Matrose?“, fragte er grinsend. Claire half ihm mit der Rettungsweste. Ross ließ das Kielschwert herunter, löste die Leinen und drückte das Boot vom Steg ab. Eine leichte Brise fing sich im Segel und zog das Boot langsam in Richtung Mitte des Sees.
George nahm das Ruder in die Hand und führte ein paar kräftige Bewegungen damit aus, sodass sie bald eine gute Segelposition erreicht hatten.
Claire war total begeistert. „Segeln wir bereits?“ In ihren Augen tanzten kleine Funken.
„Ja, wir segeln“, erwiderte George schmunzelnd. „Sie setzen sich besser auf die Reling, wenn es anfängt zu krängen.“
„Das wird jede Sekunde so weit sein.“ Ross bedeutete ihr, sich zu setzen. Beinahe wie auf Befehl neigte das Boot sich zur Seite. Er legte einen Arm um Claire und zeigte ihr, wie sie die Bewegungen ausgleichen konnte. „Man muss sehr vorsichtig sein. Ein Boot wie dieses hier wirft einen sofort ins Wasser, wenn man es nicht ausgleicht.“
Ihre Nähe fühlte sich gut an. Die warme, nackte Schulter, die sich an ihn drückte. Ihr dunkles Haar flatterte sanft gegen seinen Kiefer, und sein blumiger Duft stieg ihm in die Nase. Er ließ zu, dass die einfache Freude dieses Augenblicks seinen Körper erfasste. Anstatt zu wünschen, seinen Großvater zu weiteren Tests und Behandlungen überreden zu können, ergab er sich einfach dem Moment, so wie George es sich gewünscht hatte. Sonnenschein auf dem See, ein leichter Wind im Segel, Claire neben ihm, Granddads klingendes Lachen, das süße Plätschern des Wassers unterm Kiel.
„Segeln ist toll! Ich hatte ja keine Ahnung. Es ist gleichzeitig aufregend und entspannend.“ Claire strahlte George an. „Was für ein Geschenk!“
Alles in allem war es ein goldener Tag, erfüllt von Augenblicken, von denen Ross hoffte, dass er sie niemals vergessen würde – sein Großvater mit seinem lustigen Hut, das Gesicht dem Sommerhimmel entgegengestreckt. Und Claire, die Augen voller Staunen, als sie das erste Mal in ihrem Leben segelte.
Als sie das Boot wieder am Steg festmachten, war George müde. „Ich werde mich einen Augenblick hinlegen“, sagte er.
„Ich helfe dir“, bot Ross an.
Eine Vase mit frisch geschnittenem Flieder stand auf dem Tisch. Der Duft wurde vom Wind herübergetragen. Der See strahlte in einem hellen Blau; in seiner glatten Oberfläche spiegelten sich die Weiden, die an seinem Ufer wuchsen. George zog seine Segelschuhe aus und legte sich mit einem tiefen Seufzer aufs Bett.
„Alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sich Ross. „Ist es warm genug?“
„Es geht mir gut, mein Junge. Danke für den heutigen Tag!“
„Machst du Witze? Ich habe es immer geliebt, mit dir segeln zu gehen. Als du mich das erste Mal mitgenommen hast, war ich sechs Jahre alt. Wir sind an dem Tag bis zum Einbruch der Dämmerung gesegelt, erinnerst du dich noch?“
Sein Großvater nickte. Seine Augenlider sanken vor Müdigkeit schwer herab. „Du hast mich gefragt, wo der Himmel ist. Meine Antwort ist immer noch die gleiche. Genau hier, mein Junge. Genau hier bei dir.“
Claire sah, wie Ross das Haus verließ und zum Ende des Stegs ging. Dort riggte er das Boot ab und verstaute Segel und Mast im Rumpf. Sie wäre gerne zu ihm gegangen, um ihm zu helfen, aber sogar aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass er weinte.
Als Krankenschwester balancierte sie oft auf dem schmalen Grat zu entscheiden, wann ein Familienmitglied ihre Hilfe brauchte und wann ein wenig Zeit für sich, um zu erinnern, zu trauern, auseinanderzubrechen und sich wieder zusammenzureißen. Trauer hatte eine ganz eigene Geschwindigkeit, die so individuell war wie die Menschen und so tief wie jeder Verlust. Sie würde niemals der Trauer anderer Menschen gegenüber abstumpfen, aber sie war ihr vertraut. Sie erwartete sie. Wusste, dass sie irgendwann kommen würde.
Doch als sie Ross nun sah, die breiten, zitternden Schultern, die großen, verkrampften Fäuste, empfand
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