Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Cousine in den Raum, halb Partygirl, halb Schmetterling. Ihre Sandalen waren aus bunten, dünn geflochtenen Schnüren gemacht, und ein verwegen aussehender Clip hielt ihr Haar in einer lässigen Hochsteckfrisur. „Gefällt es dir?“ Sie drehte sich einmal um die eigene Achse. „Meinst du, Granddad wird es mögen?“
„Natürlich! Das hier hingegen gefiel ihm überhaupt nicht.“ Sie zeigte auf ihr graues, ärmelloses Kleid. „Also, welches von den anderen soll ich nehmen, was meinst du?“
Ivy schaute sich die Auswahl ungefähr zwei Sekunden lang an. „Keines.“ Sie zog Claire an der Hand mit sich nach unten. Dort hielt sie kurz an, um den Kopf in das Zimmer ihres Großvaters zu stecken. „Ist bei dir alles in Ordnung?“
„Ich könnte etwas Hilfe mit meiner Krawatte brauchen“, sagte George.
Seine Stimme war dünn und klang ein wenig zittrig. Claire sagte jedoch nichts. Sie wollte nicht, dass sich heute irgendjemand Sorgen machte.
Ivy zog eine Schnute. „Ich weiß nicht, wie man eine Krawatte bindet.“
„Ich aber.“ Claire ging zu ihm und nahm ihm den Seidenschlips ab. „Bleiben Sie ruhig stehen, George.“ Er war ein bisschen blass. „Hören Sie, wenn Sie irgendetwas brauchen, rufen Sie mich, okay?“
„Mir geht es gut. Ivy, kannst du mir meine Manschettenknöpfe geben? Die sind in der oberen Schublade der Kommodeda drüben.“
Sie wühlte in der Schublade herum. „Granddad, was ist das für ein Kästchen von Tiffany?“
„Das“, er lächelte, „ist ein sehr alter Ring und Teil einer sehr langen Geschichte.“
„Wow, der ist wunderschön! Der muss ein Vermögen wert sein! Hat er Granny Jack gehört?“
Er lächelte sanft. „Ich stelle mir gerne vor, dass er immer noch auf seine Besitzerin wartet.“
„Granddad! Ich habe ja gar nicht gewusst, dass du so ein Romantiker bist.“ Sie half ihm mit den Manschettenknöpfen. Draußen ertönte das Geräusch eines aufheulenden Motors. „Was ist denn das?“, fragte Ivy.
George zog sich seinen Sportmantel über. „Das ist meine Mitfahrgelegenheit. Etwas, das ich schon immer habe tun wollen.“
Connor Davis, der Ehemann von Olivia, besaß eine Harley. Er und George würden darauf gemeinsam eine Runde drehen und dann stilvoll bei der Familienfeier vorfahren. Ivy und Claire schauten ihnen nach. Das Motorrad glitzerte im Sonnenlicht wie ein silberner Pfeil. George streckte beide Arme aus, als wolle er die Luft um sich herum umarmen. Über das Brummen des Motors hinweg konnte sie sein typisches Lachen hören.
„Mein Granddad ist so großartig!“ Ivy zitterte die Stimme.
„Das ist er“, stimmte Claire zu.
„Ich habe Angst. Ich will ihn nicht verlieren.“
Gemeinsam schauten sie zu, bis die Harley hinter einer Kurve verschwand. Ivy nahm Claires Hand. „Und glaub ja nicht, dass ich dich vergessen habe!“ Sie nahm sie mit zu der rustikalen Hütte, in der die Cousinen wohnten. Die gemeinsame Unterkunft war wie ein Sprung zurück in die Zeit, als Camp Kioga noch ein Sommercamp gewesen war. Die Wände waren mit original aussehender Handwerkskunst aus längst vergangenen Zeiten dekoriert – ein bemaltes Paddel mit denUnterschriften der Camper des Sommers 1970. Ein verrückter Quilt aus den Sechzigerjahren. Collagen aus am See und im Wald gefundenen Objekten.
„Zeit für eine Verwandlung“, verkündete Ivy. „Widerstand ist vollkommen zwecklos.“
Claire errötete, auch wenn die Vorstellung ihr gefiel. Sie hatte sich in der Vergangenheit schon öfter verwandelt, aber da war es jedes Mal darum gegangen, noch unauffälliger und anonymer zu werden, was heute eindeutig nicht das Ziel war. „Ich gehöre ganz dir.“
Ivy und die anderen suchten gemeinsam ein sonnenblumengelbes Kleid und goldene, hochhackige Sandalen heraus. „Das Kleid ist toll!“, sagte Claire. „Bei den Sandalen bin ich mir hingegen nicht so sicher. Ich trage normalerweise keine Absätze.“
„Aber heute schon“, entschied Ivy. „Sie sind perfekt. Und auf der Tanzfläche werden sie unglaublich aussehen.“
Claire betrachtete sie skeptisch. „Das sind Massenvernichtungswaffen.“
„Schhhh! Alles wird gut.“ Als Nächstes waren Haare und Make-up dran. So verwöhnt zu werden war für Claire der reinste Luxus. „Ich bin von Beruf Künstlerin“, erklärte Ivy, während sie geschickt Highlighter auftrug. „Ich bemale Keramik.“
„Nimm’s mir nicht übel“, sagte eine andere Cousine, Gerards Tochter Nicole, „aber die Uhr muss weg. Die passt überhaupt
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