Sommer
Wolken schreiten ihren uralt heiligen Reigen und stille Berge stehen kühn und unveränderlich – wie ist es möglich, daß daneben immer noch der lumpige Bagatellenkram der kleinlichen Menschengeschäfteund Menschensorgen besteht! Nein, er besteht nicht mehr, er ist untergegangen wie alles Lächerliche untergeht, ist zu Sage, Traum und unbegreiflicher Vergangenheit geworden.
(Aus: »Ein Bummeltag«, 1905)
// Nackt in der Sommersonne zu liegen, ist immer eine Wonne; es ist schön, wenn man es auf einer Wiese oder im Sand am Ufer oder auf der Dachterrasse eines Hauses tut, aber nirgends ist es so schön wie auf einem großen Wasserspiegel im Boot, das wie ein Kelch die Wärme empfängt und hält. Da geht der Sonnenbrand durch Haut und Fleisch bis ins Mark, und wenn es zuviel wird, braucht man nur einen raschen Sprung zu tun und liegt sogleich im tiefen, klaren Wasser. Zu Anfang des Sommers, wenn der Leib noch weiß und kleidergewohnt ist, gibt es kleine Beschwerden; da brennt die Haut und rötet sich und schält sich ab. Dann aber wird sie fest und braun und sonnensicher, und dann kommt die Zeit, da der Leib seiner selbst froh wird und in animalischem Wohlsein atmet und gedeiht und Sonne, Wasser und Luft als seinesgleichen fühlt. Dann hört auch die Empfindung der Einheit von Leib und Seele auf, ein peinliches Abhängigkeitsgefühl zu sein. Denn wie der Körper sich frei und wohl und sicher fühlt, so weist die Seele das Kleid der Gewohnheit und Alltäglichkeit von sich, atmet erstaunt und frei, kehrt zu heimatlichen Quellen zurück, wird dankbares Kind der Erde und Sonne, fühlt Verwandtschaft mit allem Lebenden und lernt die Sprache der Erde wieder verstehen. Sie wird Kind, Welle, Wolke, Lied, sie singt und träumt, sie erlebt Sagen und Wunder. Wie alle Dichtung Erinnerung ist, so sind die seltsamen Regungen und phantastischen Träume, die in solchen Sonnenstunden in uns spielen, Erinnerungen an fernstes Ehemals, an Schöpfung und Urzeit, an den »Geist über den Wassern« …
(Aus: »Ein Bummeltag«, 1905)
/ HÄUSER AM ABEND /
Im späten schrägen Goldlicht steht
Das Volk der Häuser still durchglüht,
In kostbar tiefen Farben blüht
Sein Feierabend wie Gebet.
Eins lehnt dem andern innig an,
Verschwistert wachsen sie am Hang,
Einfach und alt wie ein Gesang,
Den keiner lernt und jeder kann.
Gemäuer, Tünche, Dächer schief,
Armut und Stolz, Verfall und Glück,
Sie strahlen zärtlich, sanft und tief
Dem Tage seine Glut zurück.
// Vom trägen Anschauen eines goldenen Sommerabends und vom lässig wohligen Einatmen einer leichten, reinen Bergluft bis zum innigen Verständnis für Natur und Landschaft ist noch ein weiter Weg. Es ist herrlich, auf einer sonnenwarmen Wiese hingestreckt, träge Ruhestunden zu verliegen. Aber den vollen, hundertmal tieferen und edleren Genuß davon hat nur der, dem diese Wiese samt Berg und Bach, Erlengebüsch und fernragender Gipfelkette ein vertrautes, wohlbekanntes Stück Erde ist. Aus einem solchen Stücklein Boden seine Gesetze zu lesen, die Notwendigkeit seiner Gestaltung und Vegetation zu durchschauen, sie im Zusammenhang mit der Geschichte, dem Temperament, der Bauart und Sprechweise und Tracht des dort heimischen Volkes zu fühlen, das fordert Liebe, Hingabe, Übung. Aber solche Mühen lohnen sich. In einem Lande, das du dir mit Eifer und Liebe vertraut und zu eigen gemacht hast, gibt dir jede Wiese und jeder Fels, an dem du rastest, alle seine Geheimnisse her und nährt dich mit Kräften, die er anderen nicht gönnt.
(Aus: »Über das Reisen«, 1904)
// SOMMERTAG IM SÜDEN
Im Frieden, als unsre reichgewordenen Landsleute noch unbehindert reisen konnten, da traf man im Sommer keinen von ihnen im Süden an. Im Sommer war der Süden, einem dunklen Gerücht zufolge, unerträglich heiß und von phantastischen Plagen erfüllt, und man zog es vor, in Nordland zu sitzen oder in einem Alpenhotel auf zweitausend Meter Höhe den Sommer durchzufrieren. Jetzt ist das anders, und wer einmal das Glück gehabt hat, seine Person und seine Kriegsgewinne nach dem Süden zu exportieren, der bleibt da und genießt, unter Gottes allesduldender Sonne, die Segnungen dieses Sommers mit. Wir alte Auslandsdeutsche treten sehr in den Hintergrund, sind auch mit unsren sorgenvollen Gesichtern und Fransen an den Hosen nicht recht präsentabel. Dafür wird unser Volk glanzvoll durch eben jene Herrschaften vertreten, die sich hier mit Hilfe der rechtzeitig weggeschmuggelten Gelder Häuser, Gärten und
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