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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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einer Woche telefoniert und gesagt, dass ich zur Sommerparty kommen wollte. »Willst du dir das wirklich antun?«, haben sie mich gefragt.
    Sie waren die Einzigen aus meiner Schule, die zu mir standen, die mir Briefe in die Klinik geschickt haben, in der ich nach den beiden Wochen in Untersuchungshaft wegen meines Traumas behandelt wurde. Wenn die drei allerdings wussten, dass ich kommen würde, wusste es garantiert halb Kinding…
    Tja, so sind sie eben, meine Freundinnen. Wir fahren in einen Tunnel und im Zugfenster sehe ich mich lächeln. Ihre Schwächen haben etwas Liebenswertes bekommen, weil ich merke, wie sehr sie mir vertraut sind.
    Ob ich ihnen von dem Drohbrief erzählen soll?
    Der Zug taucht wieder aus dem Dunkel auf und ich blicke gespannt aus dem Fenster. Es ist eine Gewohnheit; jedes Mal, wenn ich aus einem Tunnel herauskomme, erwarte ich, in einer anderen Welt zu sein. Aber die Landschaft hat sich nicht verändert, die gleichen grünen Wiesen, die gleichen Hügel. Dasselbe Wetter.
    Ich taste in meiner Jeansjacke nach dem Apfel. Meine Mutter hat ihn mir heute Morgen zusammen mit dem Käsebrot eingepackt. Sie wusste, dass ich mich nicht aufhalten lassen würde, dass ich nach Kinding gefahren wäre, selbst wenn sie und mein Vater es mir verboten hätten.
    Manchmal glaube ich, dass sie Angst vor mir haben. Ich bin ihnen fremd geworden. Ihre einzige Tochter hat sie enttäuscht – das müssen sie nicht aussprechen, ich kann es in ihren stumpf gewordenen Blicken lesen, in ihrem Lächeln, das oft wie aufgesetzt wirkt.
    Neulich abends, als ich wieder einmal nicht schlafen konnte, weil dieses Gedankenkarussell in meinem Kopf einfach nicht stillstehen wollte, habe ich mir in der Küche ein Glas Wasser geholt. Da habe ich aus dem Schlafzimmer die Stimme meiner Mutter gehört. »Was haben wir nur falsch gemacht? Warum ist sie so geworden?« Mein Vater hat geseufzt, dann hat er gesagt, dass er jeden Tag dafür betete, dass Kommissar Winter meinen Fall nicht noch einmal aufrollen würde.
    Genau damit hatte mir Kommissar Winter nach meiner Entlassung gedroht. »So einfach kommst du nicht davon, Mädchen!«, hatte er gesagt und mir dabei fest in die Augen gesehen.
    Er fühlte sich persönlich gekränkt, weil ich aus Mangel an Beweisen aus der Untersuchungshaft freigelassen werden musste. Als ich dann in der Klinik war, rechnete ich fast jeden Tag damit, dass er auftauchen und mich wieder verhören würde. Aber er war kein einziges Mal gekommen.
    Hastig wende ich mich vom Zugfenster ab, als wir durch einen weiteren Tunnel fahren, als könnten sich dort seine kalten grauen Augen spiegeln und nicht meine. Ich weiß, dass das Unsinn ist, doch Kommissar Winter will einfach nicht aus meinen Gedanken weichen. Ich höre seine Stimme, so nah und deutlich, als würde er direkt neben mir sitzen und mir ins Ohr flüstern. »Tief in deinem Innern ist etwas, das die Tatsachen nicht sehen will, Mädchen. Glaub mir, das kommt öfter bei Tätern vor: Sie können und wollen nicht akzeptieren, dass sie es wirklich getan haben. Sie verdrängen die Tat so lange, bis sie von ihrer Unschuld überzeugt sind. Oder schlimmer noch – bis sie glauben, die ganze Welt hat sich gegen sie verschworen und will sie hinter Gitter bringen.« Immer und immer wieder hatte Winter mir diese Sätze gesagt. Einmal hatte dabei ein triumphierendes Lächeln auf seinen Lippen gelegen.
    Ich kann nicht glauben, dass ich zu dieser Sorte gehören soll, aber was weiß man schon von sich selbst? Von seinen Abgründen, von dem Düsteren, Dunklen, das da irgendwo in den tiefsten Winkeln der Seele haust.
    Deshalb bin ich unterwegs. Deshalb habe ich mich auf den Weg nach Kinding gemacht, denn solange ich diese Verstecke nicht erforscht habe, habe ich Angst, dass es wieder passieren könnte. Dass ich es wieder tun könnte. Mich quält dieses schwarze Loch in mir. Es fühlt sich an, als lebe dadrin im Verborgenen ein böses, wildes Tier, das nur auf eine Gelegenheit wartet, auszubrechen und sich auf ein neues Opfer zu stürzen. Ich fürchte mich vor mir.
    Würzburg. Laut Fahrplan bleiben mir noch zwei Stunden bis Prien am Chiemsee. Mehrere Leute steigen zu, ein älteres Pärchen mit Rucksäcken und Teleskopstöcken sucht sich einen Fensterplatz auf der anderen Gangseite. Wandern fand ich immer langweilig, aber während der Zeit im Gefängnis hab ich mich plötzlich danach gesehnt, auf einen hohen Berg zu steigen und vom Gipfel aus in eine grenzenlose Weite zu schauen. Ein

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