Sommerstueck
Schrumpfträume. Alles ausgetrocknet. Durch Josef dringt zu wenig Leben zu mir herein. Er kriegt schon wieder eine dicke Haut, und meine wird immer dünner.
– Sie verlangt Unmögliches, hat er gesagt, Josef. Sie greift mich an, du, sie verletzt mich, sie zieht mir die Seele aus dem Leib. Kannst du dir so was vorstellen. Sie will, als müsse sie das noch schaffen auf Erden, mir meinen Panzer runterreißen. Sie hält einen Gepanzerten neben sich nicht aus, sagt sie. Dabei weiß sie ganz genau, daß ich es hab lernen müssen, mich fühlloszu machen. Daß ich anders das KZ nicht überlebt hätte. Daß ich die Erinnerung an das KZ sonst nicht ertragen hätte. Und jetzt kommt sie mir wieder zustatten, meine verfluchte Technik. Alles ist noch da, du. Gelernt ist gelernt.
– Die Wirkung des Tropfs läßt ein bißchen nach, heute ist mir schon wohler, nur die Schwellung geht nicht zurück, das Gedränge und Gezerre in meinem Innern. Die Einsamkeit des Krankenbettes. Daß die Krankheit die einzige Wahrheit werden kann, und alles andere ist Lüge. Daß dich nur noch die Krankheit ansieht, wann immer du in dich hineinblickst. Wie hatte es eine Zeit ohne Krankheit geben können? Manchmal erreicht dich ein Bote aus dieser Zeit. Die Druckfahnen des Buches. Ich habe es vor der Krankheit geschrieben, nun fällt es mir schwer, es anzunehmen. Es kommt mir wie eine Fälschung vor.
– Du, hör mal. Das passiert dir jedesmal. Mit jedem Buch. Du erlebst es nur zum erstenmal.
– Auch zum letztenmal. Widersprich nicht. Hör mir jetzt mal zu. Ich weiß nicht, wem ich das sonst sagen soll. Wenn es soweit ist, sollst du dafür sorgen, daß mir die letzten unerträglichen Schmerzen erspart bleiben. Du verstehst, was ich meine. Das bitte ich dich. Vergiß es nicht. Ich meine es ernst.
– Das sagtest du, an einen der Holzpfeiler gelehnt, die das Dachgebälk tragen, du sahst mich nicht an, du sahst aus dem Fenster, auf die Wiese, den Kirschbaum. Ich habe gesagt: Ich werde daran denken. Versprochen hab ich dir nichts, ich war auch nicht erschrocken. Die Frage, auf wen er sich in dem Notfall, der dir bevorsteht, verlassen könnte, ist niemandem fremd. Daß für dichich es war, versetzte mir einen Stoß. Verständnis, Erbarmen, Hilflosigkeit, Zorn, ein übles Gemisch. Du mußtest wissen: Versprechen konnte ich nichts. Ich habe dir nichts versprochen. Ich habe gesagt, daß ich daran denken würde. Mehr nicht. Es war Spätnachmittag geworden, das Licht hatte sich verändert, du drehtest kurz deinen Kopf zu mir hin, auf deine besondere Weise, ich seh dich, seh deinen Blick. Dann wieder nur deinen Umriß gegen das Licht von Fenster her. Davon wird nie wieder zwischen uns die Rede sein.
– Auch von manchem anderen nicht. Warum läßt du keinen an dich heran.
– Was glaubst du eigentlich, warum ich schreibe.
– Um deine Art Fälschungen herzustellen, nehme ich an.
– Schlaues Kind. Du schreibst nämlich aus anderen Gründen.
– Aus weniger zwingenden, nehme ich an.
– So ist es. Oder: Du brauchtest es nicht, wenn du statt dessen leben könntest. Übrigens, wenn du es hören willst: Altern heißt, daß auch die zwingendsten Gründe weniger zwingend werden.
– Das glaub ich dir nicht. Das ist eine vorübergehende Konditionsschwäche, meine Liebe.
– Wir werden sehen. Es hat ja auch was für sich, wenn die Zange sich öffnet, und sei es zeitweise. Aber wir wollen aufhören mit dem Geplapper.
– Genau. Wolltest du mir nicht vom Regen erzählen.
– Dies ist der letzte Tag des Sommers. Der Regen nimmt immer noch zu. Eben bin ich, mit Regenmantel und Kapuze, die Dorfstraße runter zu Frau Freese gelaufen, die uns mit Eiern versorgt. Ich habe ihr das Restgeldvom Eierkauf auf ihren Küchentisch gelegt, und sie hat mich nicht weggelassen, ehe sie mir die letzten Dorfneuigkeiten erzählt hatte. Frau Freese ist klatschsüchtig und selbstgerecht, so wie wir es alle ein bißchen sind, sie ist es auffallend stark. Es ging um Schependonks, die du ja kennst, Steffi. Weißt du, daß sie sehr stolz sind? Es »geht nicht so gut mit dem Schriftlichen«, das ist wahr, bei beiden nicht, genaugenommen geht es gar nicht, Erna kommt zu mir, wenn die Karteikarten für den Besuchsantrag ihrer Schwester aus Polen ausgefüllt werden müssen, nie läßt sie sich umsonst helfen, eine Schüssel Eier bringt sie dafür. Und Fritz hat uns nicht erzählt, warum er jetzt mehr trinkt als sonst: Die Genossenschaft hat ihm den Schweinestall weggenommen, es hat
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