Sorge dich nicht - lebe
schrecklich traurig meine Schwester sein würde, hinderte mich, Selbstmord zu begehen. Außerdem war kein Geld da für die Beerdigungskosten.
Dann las ich eines Tages einen Artikel, der mich aus meiner Verzweiflung herausholte und mir neuen Lebensmut verlieh. Ich werde nie aufhören, für den einen wesentlichen Satz in dem Artikel dankbar zu sein. Er hieß: ‹Der kluge Mann fängt jeden Tag wie ein neues Leben an.› Ich tippte den Spruch auf einen Zettel und klebte ihn an meine Windschutzscheibe, wo ich ihn beim Fahren immer im Auge hatte. Ich stellte fest, dass es gar nicht so schwierig war, immer nur einen Tag auf einmal zu leben. Ich lernte, das Gestern zu vergessen und an morgen nicht zu denken. Jeden Morgen sagte ich zu mir: ‹Heute fängt ein neues Leben an.›
Der kluge Mann fängt jedenTag wie ein neues Leben an.
Es ist mir gelungen, meine Angst vor der Einsamkeit, die Angst, Not leiden zu müssen, zu überwinden. Ich bin glücklich und auch ziemlich erfolgreich, habe Optimismus und liebe das Leben. Ich weiß jetzt, dass ich nie wieder Angst haben werde, ganz gleich, wie das Leben mir mitspielt. Ich weiß jetzt, dass ich keine Angst vor der Zukunft zu haben brauche. Ich weiß jetzt, dass ich bewusst einen Tag nach dem andern leben kann und dass es stimmt: ‹Der kluge Mann fängt jeden Tag wie ein neues Leben an.›»
Wer, glauben Sie, schrieb das folgende Gedicht:
Glücklich der Mensch, glücklich er allein,
Der das Heute ganz besitzen kann.
Der in sich ruhend sagen kann:
«Das Morgen, sei es noch so schlimm,
Ich habe heut gelebt.»
Diese Zeilen klingen modern, nicht wahr? Und doch wurden sie dreißig Jahre vor Christi Geburt geschrieben, von dem römischen Dichter Horaz.
Eine der tragischsten Eigenschaften der menschlichen Natur ist der Hang, das Leben aufzuschieben. Wir alle träumen von einem verzauberten Rosengarten hinter dem Horizont – statt uns über die Rosen zu freuen, die heute vor unserem Fenster blühen.
Eine der tragischsten Eigenschaften der menschlichen Natur ist der Hang,das Leben aufzuschieben.
Warum sind wir solche Dummköpfe – solche traurigen Dummköpfe?
«Wie seltsam er doch ist, der Lauf unseres kleinen Lebens», schrieb der kanadische Schriftsteller Stephen Leacock. «Das kleine Kind sagt: ‹Wenn ich ein großer Junge bin.› Aber was heißt das? Der große Junge sagt: ‹Wenn ich erwachsen bin.› Und dann, wenn er erwachsen ist, sagt er: ‹Wenn ich verheiratet bin!› Doch was ist schließlich an einer Ehe schon viel dran? Seine Gedanken ändern sich, er sagt: ‹Wenn ich nicht mehr arbeiten muss.› Und dann, wenn er alt geworden und diese Zeit gekommen ist, blickt er zurück über das Land, das er durchwandert hat. Ein kalter Wind scheint darüber hinwegzuwehen. Irgendwie hat er alles verpasst, und nun ist es vorbei. Das Leben, erkennen wir zu spät, muss gelebt werden, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde.»
Das Leben muss gelebt werden, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde.
Der verstorbene Edward S. Evans aus Detroit brachte sich fast um vor Sorgen, ehe er begriff, dass «das Leben gelebt werden muss, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde». Er wuchs in armen Verhältnissen auf und verdiente sein erstes Geld mit dem Verkaufen von Zeitungen. Dann arbeitete er als Lebensmittelverkäufer. Später, als er schon sieben Menschen ernähren musste, fand er Arbeit als Hilfsbibliothekar. Obwohl das Gehalt niedrig war, hatte er Angst zu kündigen, und so dauerte es acht Jahre, bis er den Mut fand, etwas Eigenes aufzubauen. Doch als er erst einmal angefangen hatte, schaffte er es, aus den geliehenen fünfundfünfzig Dollar in einem Jahr zwanzigtausend Dollar zu machen. Dann kam ein Rückschlag, ein tödlicher Rückschlag. Er bürgte für einen Freund, und der Freund machte Bankrott. Und gleich hatte er noch einmal Pech: Die Bank, in die er all sein Geld investiert hatte, brach zusammen. Er verlor nicht nur seinen letzten Cent, sondern musste auch noch sechzehntausend Dollar Schulden machen. Das hielten seine Nerven nicht länger aus. «Ich konnte weder essen noch schlafen», erzählte er mir. «Ich wurde krank. Keiner konnte erklären, was ich hatte. Sorgen und nochmals Sorgen waren die Ursache dieser Krankheit. Einmal ging ich die Straße hinunter, da wurde ich ohnmächtig und fiel auf dem Gehweg um. Ich konnte nicht mehr laufen. Man packte mich ins Bett, und an meinem ganzen Körper brachen Furunkel aus, die nach innen wuchsen, bis sogar das
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