SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)
E-Books verschenken, per E-Mail. Aber es fehlt die Vorfreude, das Rascheln des Geschenkpapiers, die Zeremonie. Vielleicht bastelt ein StartUp schon an einer einer App, die Verpackung und Rascheln simuliert?
„Die Zukunft des Lesens“ war eines der großen Themen auf der Frankfurter Buchmesse 2012. Aber E-Books gehören längst zur Gegenwart. Zwei Millionen Deutsche haben schon mal ein E-Book gekauft, in den USA machen elektronische Bücher bereits mehr als 15 Prozent des Buchhandelsvolumens aus, in Großbritannien mehr als fünf Prozent. In Deutschland sind es nach einigen Statistiken erst zwei Prozent. Einzelne Verlage melden bessere Zahlen, bei neuen Krimis und historischen Romanen des Aufbau-Verlags etwa beträgt der elektronische Anteil rund 10 Prozent. Bastei-Lübbe verkauft von einigen Spitzentitel schon 30 Prozent als E-Books, wie eine Umfrage des Buchreports ergab.
Ich hatte schon ein paar E-Books gekauft, als „ Freiheit “ erschien, der Roman von Jonathan Franzen. Die deutsche Ausgabe hat 736 Seiten. Nie zuvor erschienen mir die Vorzüge eines E-Books klarer.
Traditionalisten loben gern die äußere Schönheit von Papierbüchern und das haptische Vergnügen, etwa beim Umblättern der Seiten. Ich finde, dass mein 247 Gramm leichtes Lesegerät weitaus angenehmer in der Hand liegt als etwa der dicke Franzen-Roman auf Papier, den ich mit beiden Händen halten muss. Das Cover der englischsprachigen Ausgabe, für die ich mich schließlich entschied, ist marktschreierisch bunt. Der E-Book Reader dagegen tritt ganz hinter dem Text zurück, das Gerät ist schlicht, das Cover spielt keine Rolle, der Roman wird befreit vom Verpackungskitsch. Don’t judge a book by its cover.
Aber bedeutet die Verflüssigung der Schrift nicht auch Oberflächlichkeit? Papierbücher verströmen die Aura des Beständigen, sie laden ein, in ihren Inhalt abzutauchen wie in einen Ozean, schreibt der amerikanische Kulturkritiker Nicholas Carr in seiner pessimistischen Abhandlung „ Wer bin ich, wenn ich online bin... ...und was macht mein Gehirn so lange? “:
„Die Linearität, die das Wesen des gedruckten Buches ausmacht, wird zerstört, und mit ihr die ruhige Aufmerksamkeit, die sie beim Leser erzeugt.“
Aber was nützt die ruhige Aufmerksamkeit, wenn ein Leser ein Wort nicht versteht? Das elektronische Lesen kann nicht nur zu Ablenkung führen, sondern auch zu einer Vertiefung, die auf Papier nicht ohne weiteres möglich ist. Ein Klick oder Fingertippen, und ein unbekanntes Wort wird übersetzt. Ich muss nicht aufstehen, zum Wörterbuch greifen, herumsuchen. Das kann die Konzentration erhöhen.
Die „Röntgen“-Funktion („X-Ray“) des Lesegeräts Kindle Paperwhite erstellt mir, wenn ich das möchte, sogar eine Liste der Hauptfiguren und wichtigen Orte und Begriffe zu jeder Buchseite. Das kann hilfreich sein bei komplexen Gesellschaftstableaus wie etwa in Lew Tolstois Roman „Krieg und Frieden“, vor allem nach unterbrochener Lektüre. Allerdings lassen sich erst wenige Bücher röntgen. Die Steve-Jobs-Biografie, mit deren digitaler Ausgabe ich meinen Bruder verriet, gehört dazu. Die Datenanalyse schafft eine neue, überraschende Zugangsebene.
Nach „Freiheit“ las ich fast nur noch E-Books. Nach ein paar Monaten ertappte ich mich dabei, Bücher aus Papier wie Museumsstücke zu betrachten. Wieso waren diese Dinger so schwer? Wo war der Übersetzungsknopf? Und wo die Beleuchtung, wie lasen die Leute, wenn es dunkel wurde?
Als ich kürzlich doch wieder ein Papierbuch in der Hand hielt, wischte ich über eine Seite in der Erwartung, sie damit umzublättern. Heute wirken Papierbücher auf mich wie frühe Prototypen. Die erste Version eines Produkts, aber lange nicht ausgereift.
Wider die Zellulose-Nostalgie
Geschmacksache, diese E-Books, dachte ich, als ich im vergangenen Jahr dazu einen Artikel im SPIEGEL schrieb. Der Artikel regte die Leser auf, wie ihre Briefe zeigten, einige teilten meinen Geschmack, andere waren empört.
„E-Books sind Büchern wirklich in den Details überlegen, die der Autor hier schildert“, schrieb etwa Bernhard Taschner aus Frankfurt am Main. „Wie viele Meter umbauten Raums gehen durch einmal oder gar nicht gelesene Exemplare verloren?“ Das ist die pragmatische Sicht.
Andere Zuschriften verströmten poetische Schwermut, wie diese von Andreas Groell-Döhring aus Euskirchen:
„Ihr Artikel trägt die ganze Traurigkeit unserer ach so großartigen neuen elektronischen Welt in
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