Spiels noch einmal
und nickte in Richtung Hiero.
»Milch«, murmelte Hiero, ohne den Kopf zu heben.
Der Mann hinter der Bar stützte seine dicken Unterarme auf die Theke und beugte sich vor, aber das hatte nichts Aggressives; er kannte uns. Mit starkem Akzent sagte er zu dem Jungen auf Deutsch: »Milch? Du ein Katze?«
Hieros Stimme klang gedämpft; er hatte immer noch die Hände vor dem Gesicht. »Ist das hier eine Witzfabrik, oder was? Sie sind fast so komisch wie Sid. Ihr zwei solltet euch zusammentun und auf Tournee gehen.«
Der Barkeeper grinste und murmelte Hiero etwas ins Ohr, aber ich verstand es nicht. Ich sah nur, dass der Junge erstarrte. Er hob den Kopf, seine Lippen waren schmal.
»Hey«, sagte ich, »ist doch nur Spaß.«
Auf dem Weg zum Eiskasten sah der Barkeeper mich kurz an, dann schaute er hoch zur Uhr. Ich zog meine Taschenuhr heraus. Fünf vor zehn. Der Mann kam mit einem Glas Milch zurück. Seine Stimme unterbrach die Stille. Es klang, als ob Billardkugeln aufeinanderklackten. »Aber das eine kannst du mir glauben:«, sagte er. »Auch wenn du noch so viel Milch trinkst, du wirst nicht weiß davon.« Er lachte sonderbar hell und weich.
Hiero hob das Glas an seine Lippen und trank, das linke Auge geschlossen. Ein trauriges Gefühl schoss in mir hoch.
Der Junge drehte sich plötzlich um und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wir können schon noch eine Aufnahme machen«, sagte er. »Es ist nicht so schlecht. Und solange mein verdammtes Visum nicht da ist, hab ich sowieso nichts Besseres zu tun.«
Ich schluckte nervös.
Dann sah er mich lange an, mit einem ganz klaren Blick. »Wir kriegen es hin, Mann. Du musst nur ein bisschen Geduld haben.«
»Klar«, sagte ich, »sicher kriegen wir es hin. Aber die letzte Aufnahme war doch auch schon ganz gut, oder? Richtig gut. Hätte es die nicht getan?«
Der Junge stellte das Glas auf die Theke, zeigte darauf und knurrte: »Encore!«
Mein Magen drehte sich um, ich konnte es gerade noch zurückhalten. »Ich bin gleich wieder da. Du wartest auf mich, ja?«
Auf dem Klo im Untergeschoss erleichterte ich mich. Mir war so was von schlecht, mir kam die pure Galle hoch. Ich stand über das verdreckte Waschbecken gebeugt, das von einer gelben Schmiere überzogen war, und atmete tief. Dann drehte ich den Hahn auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Es schmeckte nach heißem Eisen, und mein Gesicht fühlte sich fremd an, als steckte ich gar nicht in meiner eigenen Haut.
Dann hörte ich plötzlich etwas durch die Decke über mir. Dort oben wurde es laut. Ich hielt den Atem an. Verdammt, hatte Hiero eine Schlägerei mit dem Barkeeper angefangen? Zuzutrauen wär’s ihm, der Junge war auf Krawall gebürstet. Ich holte tief Luft und ging zu der verschrammten Tür.
Aber ich ging nicht hinaus. Ich stand einfach da und lauschte wie ein Jagdhund. Nach einer Minute griff ich nach dem Türknauf.
Die Stimmen oben wurden leiser. Dann gab es einen Riesenkrach, und das ganze Haus wackelte; irgendwas ging zu Bruch. Die Stimme des Barkeepers war nicht mehr zu hören. Meine Hand zitterte so stark, dass der Türknauf leise klapperte. Ich nahm mich zusammen, drehte ihn und trat auf den engen Korridor. Ich ging drei Stufen hinauf, dann hielt ich inne. Die Treppe lag hinter einer Ziegelmauer, die mir Deckung gab; in ihrem Schatten versteckt lugte ich ins Café.
Alle Lichter waren an. Ich hatte vorher noch nie das Coup voll beleuchtet gesehen, niemals. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, wie gespenstisch so viel Licht sein kann.
Es war jetzt totenstill. Alles und alle Leute schienen wie verwandelt, erstickt von der Stille. Ein Typ drehte langsam den Kopf in meine Richtung. In seinem Gesicht Falten wie Schnitte von einem Messer. Ich schaute unter seinen Tisch: Der Mann hatte nur ein Bein. Seine knorrigen Hände hielten schmutzige Ausweispapiere und zitterten heftig. Ich sah, wie Asche von seiner Zigarette auf seine Hose fiel.
Ich blickte mich im Raum um. Auf jedem Tisch, an dem jemand saß, lagen Papiere. Einige dürr wie Herbstlaub, andere so abgegriffen, dass sie fast zu Staub zerfallen waren. Eine junge Brünette hatte ihren Ausweis vor lauter Hektik in eine Pfütze aus verschüttetem Kaffee gelegt. Ich starrte auf den durchweichten Karton. Sie kaute an einem Faden, der aus dem Kragen ihres Tweedmantels hing, ihre Kiefer mahlten sacht. Ich weiß noch, dass ich dachte: Ist ihr nicht zu warm in dem dicken Ding?
Der Barkeeper nahm einen Lappen und fing an, die Theke zu
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