Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
erwiderte sie.
    »Deswegen bin ich hier.«
    »Ich hoffe, du bist hier, um zu trauern…«
    »Selbstverständlich.«
    »… und nicht aus anderen Gründen. Er ist nämlich nach Hause gekommen, um vor dir zu fliehen. Ich nehme an, du weißt das.«
    »Ich weiß mehr darüber, als du dir vorstellen kannst. Jason war verwirrt…«
    »Jason war so manches, E. D., aber verwirrt war er nicht. Ich war bei ihm, als er starb.«
    »Tatsächlich? Das ist interessant. Ich war bei ihm, als er noch lebte.«
    Carol atmete heftig ein und wandte den Kopf zur Seite, als habe sie eine Ohrfeige erhalten.
    »Ich war derjenige, der Jason aufgezogen hat, das weißt du so gut wie ich. Vielleicht hat dir das Leben, das ich ihm verschafft habe, nicht gefallen, jedenfalls habe ich ihm einen Weg gewiesen und ihm die Mittel verschafft, dieses Leben zu führen.«
    »Ich habe ihn geboren.«
    »Das ist eine physiologische Funktion, keine moralische. Alles, was Jason je besessen hat, hat er von mir. Alles, was er gelernt hat, habe ich ihn gelehrt.«
    »Zum Guten und zum Schlechten.«
    »Und jetzt willst du mir Vorwürfe machen, nur weil ich ein paar praktische Anliegen habe.«
    »Was für praktische Anliegen?«
    »Ich spreche von der Autopsie.«
    »Ja, das hast du schon am Telefon gesagt. Aber das ist würdelos und überhaupt auch unmöglich.«
    »Ich hatte gehofft, du würdest das ernst nehmen – offenbar ist das nicht der Fall. Aber ich brauche dein Einverständnis gar nicht. Draußen vor dem Haus warten Männer, die Anspruch auf den Leichnam erheben werden, unter Vorlage einer gerichtlichen Anordnung gemäß dem Gesetz über Notfallmaßnahmen.«
    Sie machte einen Schritt von ihm weg. »So viel Macht hast du?«
    »Wir haben gar keine Wahl in dieser Angelegenheit, weder du noch ich. Es wird so verfahren, ob es uns gefällt oder nicht. Und es ist doch im Grunde nur eine Formalität, es entsteht kein Schaden. Also lass uns um Gottes willen ein bisschen Würde und gegenseitigen Respekt wahren. Überlass mir den Leichnam meines Sohnes.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Carol…«
    »Ich kann dir seinen Leichnam nicht geben.«
    »Du hörst mir nicht zu. Du hast gar keine Wahl.«
    »Nein, tut mir Leid, du hörst mir nicht zu. Also noch mal, E. D., ich kann dir seinen Leichnam nicht geben.«
    Er machte den Mund auf und wieder zu. Seine Augen weiteten sich. »Was hast du getan?«
    »Es gibt keinen Leichnam. Nicht mehr.« Ihre Lippen schürzten sich zu einem verschlagenen, bitteren Lächeln. »Aber seine Asche kannst du haben. Wenn du darauf bestehst.«
     
    Ich fuhr Carol zum Großen Haus zurück, wo Emil Hardy – der sein Nachrichtenblättchen nicht mehr produzierte, seit es wieder Strom gab – Diane Gesellschaft geleistet hatte. »Wir haben uns über die alten Zeiten hier in der Nachbarschaft unterhalten«, sagte Hardy beim Abschied. »Hab die Kinder früher öfter beim Fahrradfahren beobachtet. Ach, ist das lange her. Diese Hautgeschichte, die sie hat…«
    »Ist nicht ansteckend«, unterbrach ihn Carol. »Keine Sorge.«
    »Allerdings ungewöhnlich.«
    »Ja, ungewöhnlich ist sie. Vielen, vielen Dank, Emil.«
    »Ashley und ich würden uns freuen, wenn Sie demnächst mal zum Abendessen rüberkämen.«
    »Das klingt wunderbar. Richten Sie ihr meinen Dank aus.« Sie schloss die Tür und wandte sich mir zu. »Jetzt bräuchte ich einen Drink. Aber eins nach dem anderen. E. D. weiß, dass du hier bist. Du musst also woanders hin und du musst Diane mitnehmen. Kannst du das? Kannst du sie an einen sicheren Ort bringen? Wo E. D. sie nicht findet?«
    »Natürlich. Aber was ist mit Ihnen?«
    »Ich bin nicht in Gefahr. E. D. schickt vielleicht irgendwelche Leute her, um nach dem zu suchen, was Jason ihm seiner Meinung nach gestohlen hat. Aber er wird nichts finden – solange du nur gründlich genug bist, Tyler –, und das Haus kann er mir nicht wegnehmen. E. D. und ich – wir haben unseren Waffenstillstand schon vor langer Zeit unterzeichnet, unsere Scharmützel sind trivial. Aber dir kann er etwas anhaben, und er kann auch Diane schaden, selbst wenn es nicht in seiner Absicht liegt.«
    »Das werde ich nicht zulassen.«
    »Dann pack deine Sachen zusammen. Du hast vielleicht nicht mehr viel Zeit.«
     
    Am Tag, bevor die Capetown Maru den Torbogen queren sollte, ging ich aufs Deck, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Der Bogen war weitgehend unsichtbar, beide Enden hinter dem Horizont verborgen, doch in der letzten halben Stunde vor der Dämmerung war das

Weitere Kostenlose Bücher