Spionin in eignener Sache
Theban.
»Eins muß ich vorausschicken«, sagte Kate durchs Mikrophon zu 15
der Versammlung vor ihr: Eltern, einige Ehemalige der anhänglichen Sorte und, wie sie mit Entsetzen feststellte, offenbar der größte Teil des Oberstufen-Lehrkörpers, »das Eingeständnis nämlich, daß ich zwar versuchen werde, die Argumente beider Seiten im momentanen akademischen Disput fair darzustellen, selber jedoch auf einer Seite stehe und nicht glaube, daß ein Vertreter der anderen Seite so offen zu Ihnen sprechen würde, wie ich es versuchen will. Ich hoffe, damit habe ich meine Parteilichkeit deutlich gemacht.«
Das gesagt, begann Kate ihre Rede. Sie war nicht lang und wurde mit mehr als Höflichkeitsapplaus bedacht. Viele kamen nachher zu ihr, um mit ihr zu sprechen, darunter auch mehrere Angehörige des Lehrkörpers, alle, in Kates wehmütigem Blick, erstaunlich jung.
Beim anschließenden Empfang lehnte sie den Punsch ab; gefragt, ob sie etwas anderes wolle, bat sie um ein Glas Sodawasser. Dieses wurde ihr von der Direktorin gebracht, und nur mit Mühe gelang es Kate, einen Aufschrei zu unterdrücken, als sie den ersten Schluck nahm. Das Glas enthielt Wodka mit Tonic, und obwohl auch die Limonenscheibe nicht fehlte, war ihr Drink optisch von purem Wasser nicht zu unterscheiden. Kate warf der Direktorin diskret ein dankbares Lächeln zu und widmete sich dann dem Elternpaar, das manierlich darauf wartete, mit ihr zu reden.
Erst als sich das Ende der Veranstaltung abzeichnete und sich die Versammlung schon zu lichten begann, wurde Kate von einer Frau angesprochen, die älter als die meisten Anwesenden war. Sie wirkte keineswegs wie die typische Theban-Absolventin, sondern wie eine jener Frauen, die im Alter von zehn Jahren zu dem Schluß gekommen waren, Mode und Schönheit seien das Langweiligste auf der Welt, und im Laufe ihres Lebens keinen Grund gesehen hatten, diese Meinung zu ändern. Nur ihre Art zu reden verriet die Akademikerin.
Kate und die Frau zogen sich in eine stille Ecke zurück, und Kate wappnete sich schon für das übliche Schwelgen in Erinnerungen an alte und daher selbstverständlich bessere Zeiten. Sonderbarerweise folgte so was dem Lob ihrer Ausführungen oft auf dem Fuße, als sei dem Zuhörer völlig entgangen, daß sie alles andere als eine Verfech-terin des Konservatismus war. Aber diese Frau, das wurde Kate sofort klar, stimmte ihrem Vortrag zu, weil sie ihn verstanden hatte.
»Können wir uns vielleicht irgendwo abseits von dem Lärm hier unterhalten?« fragte sie. O Gott, das auch noch, dachte Kate, aber der Wodka stimmte sie großmütig. Warum eigentlich nicht, sagte sie sich. »Na gut, suchen wir uns ein leeres Klassenzimmer.«
16
Sie stiegen die Treppe hinauf, und Kate steuerte zielstrebig auf den ersten Klassenraum zu, an dem sie vorbeikamen, offenbar einer für Erst- und Zweitkläßler. Da sie keine Lust hatte, sich auf einen winzigen Stuhl zu hocken, setzte sie sich auf einen Tisch, stellte Drink und Tasche neben sich und bemühte sich, die interessierte Zuhörerin zu mimen, deren Zeit allerdings knapp bemessen ist.
»Nur um Ihnen zu beweisen, wie wachsam ich bin«, begann die Frau. »Die Flüssigkeit in Ihrem Glas ist entweder Wodka oder Gin Tonic. Können Sie ein Schlückchen erübrigen?«
Grinsend reichte ihr Kate das Glas. Die Frau probierte, schnalzte genießerisch mit der Zunge, grinste ebenfalls und gab das Glas zu-rück.
»Bei mir ist Ihr Geheimnis gut aufgehoben«, sagte sie. »Außerdem«, fügte sie hinzu und sah sich im Raum um, »kann ich sehr gut verstehen, daß man in dieser Umgebung alkoholische Wiederbele-bung dringend nötig hat.«
»Sind Sie auch aufs Theban gegangen?«
» Himmel nein. Hervorragende Schule, keine Frage, aber ein biß-
chen zu damenhaft für meinen Geschmack, fürchte ich.«
Kate sah sich um, betrachtete die Kinderzeichnungen an den Wänden und das Geschreibsel auf der Tafel und fand beides trist.
Warum war sie nicht lieber unten geblieben? Na, sie konnte ja immer noch behaupten, hier sei’s ihr zu unbequem, und gehen.
»Wenn Sie nicht am Theban waren«, meinte Kate, »darf ich Sie fragen, warum Sie dann gekommen sind? Haben Sie eine Tochter oder Enkelin, die hier zur Schule ging?«
»Oje, nicht mal diesen Vorwand habe ich. Ich bin ohne jeden Anhang, völlig frei und ungebunden, wie man so sagt, wenn man Witwenschaft und nahendes Alter umschreiben will. Ich bin allein zu dem Zweck hier, mit Ihnen zu reden.«
»Und aus welchem Grund wollen
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