Sportreporter
sie aufzuschreiben, dabei oft tagelang in alten Kleidern durchs Haus geisterte und zwischendrin immer wieder mit dem Zug nach New York fuhr. X schien die bestmögliche Einstellung zu meinem Leben als Sportreporter gefunden zu haben. Sie fand das alles ganz in Ordnung, oder zumindest sagte sie das und schien glücklich. Sie glaubte, einen jungen Sherwood Anderson mit Perspektiven beim Film geheiratet zu haben, aber es störte sie nicht, daß es anders kam, und sie ließ es auch mich nie spüren. Ich fühlte mich so frei wie ein Vogel. Mit unseren drei Kindern machten wir Ferienreisen. Nach Cape Cod (das Ralph Cape Gott nannte), nach Searsport in Maine, zum Yellowstone-Nationalpark, zu den Schlachtfeldern aus dem Bürgerkrieg, Antietam und Bull Run. Wir zahlten Rechnungen, machten Einkäufe, gingen ins Kino, kauften Autos und Kameras und Versicherungen, grillten im Garten, gingen auf Cocktailpartys, besuchten Schulen und flirteten miteinander in der netten, behutsamen Art von Erwachsenen. Ich blickte aus meinem Fenster, stand mit einem Gefühl der Genugtuung und des Stolzes auf das Erreichte bei Sonnenuntergang in meinem Garten, säuberte meine Regenrinnen, überprüfte meine Dachschindeln, befestigte die Sturmfenster, düngte regelmäßig, errechnete den Wert meines Hauses nach Abzug der Hypotheken, redete mit meinen Nachbarn in einem interessierten Ton – das normale, beifallslose Leben, das wir alle führen.
Doch gegen Ende unserer Ehe verlor ich mich in gelegentlichen Träumereien. Manchmal wachte ich morgens auf, sah X tief atmend neben mir liegen und erkannte sie nicht! Wußte nicht einmal, in welcher Stadt ich mich befand, wie alt ich war oder was für ein Leben ich führte, so sehr war ich in meine Träume verstrickt. Ich lag nur da und versuchte, das Nichtwissen zu verlängern, so gut ich konnte, versuchte, dieses angenehme, mir immer besser gefallende Gefühl des Entschwebens und Zurückblickens auf die alten Positionen auszukosten, solange es anhielt, während zwanzig Möglichkeiten des Wer, Wo und Was vorüberzogen. Bis ich plötzlich alles wieder richtig sah. Und dabei empfand ich ein Gefühl des – ja, was? – des Verlusts, muß es wohl heißen, auch wenn ich nicht weiß, was für ein Verlust das gewesen sein soll. Mein Sohn war gestorben, aber ich will nicht sagen, daß das der Grund war oder daß irgend etwas jemals der einzige Grund für irgend etwas anderes ist. Ich weiß, daß man träumend durch ein im übrigen gutes Leben gehen kann, ohne jemals aufzuwachen: Fast hätte ich das selbst getan. Ich glaube, ich habe das jetzt überwunden, und die Zeit des Träumens liegt mehr oder weniger hinter mir, obwohl zwischen X und mir eine entschiedene Traurigkeit darüber herrscht, daß unsere Ehe vorbei ist, eine Traurigkeit, die nicht traurig stimmt. Es ist ein Gefühl wie bei einem Klassentreffen, wenn du spätabends eine deiner alten Lieblingsmelodien hörst, nur daß du jetzt ganz allein bist.
X tritt aus dem achatenen Friedhofslicht, mit wackligen Schritten und verschlafen, in flachen Schuhen, ausgebeulten Kordhosen und einem alten Trenchcoat, den ich ihr vor Jahren gab. Ihre Haare sind nach der neuesten Mode geschnitten, die mir gefällt. Sie ist groß und kräftig, brünett und hübsch und sieht jünger aus, als sie ist, sie ist erst siebenunddreißig. Als wir uns vor fünfzehn Jahren bei einer langweiligen Stunde des Büchersignierens in New York kennenlernten, führte sie in einem Modegeschäft an der Fifth Avenue Kleider vor, und sie neigt selbst heute noch dazu, die Schultern hängen zu lassen und auf eine lässige Art mit nach außen gestellten Füßen zu lange Schritte zu machen; doch wenn sie sich breitbeinig über einen Golfball stellt, kann sie ihn endlos weit weg schlagen. In mancher Hinsicht ist sie zu einer echten Athletin geworden, wie ich nicht viele kenne. Selbstredend empfinde ich nur die größte Bewunderung für sie und liebe sie, vom strengen Wortsinn abgesehen, in jeder Weise. Manchmal sehe ich sie unverhofft und von ihr unbemerkt auf der Straße oder in ihrem Wagen, und ich frage mich staunend: Was kann sie jetzt vom Leben wollen? Wie habe ich sie je lieben und dann gehen lassen können?
»Es ist noch kühl«, sagt sie mit ihrer kleinen, festen Stimme, sobald sie in Hörweite ist, die Hände tief in den Taschen ihres Trenchcoats vergraben. Ich liebe diese Stimme. In mancher Hinsicht war es ihre Stimme, die ich zuerst liebte, die spitzen Vokale des mittleren Westens, die
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