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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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genommen. Mit achtundvierzig aus dem Dienst ausscheiden? - Nein, das hatte er sogar letztes Jahr noch nicht geahnt.
    „Danke, Sir, guten Flug!“ Die Airline-Angestellte lächelte und gab ihm den Abschnitt der Boarding-Karte zurück. Er nahm seinen Platz in der elften Reihe am Fenster ein, schnallte sich an und sah hinaus. Die Männer, die die Gepäckstücke verladen hatten, stiegen in die Fahrerkabine des kleinen Wagens, an dem fünf, nun leere Anhänger hingen, und fuhren ab. Ein übergewichtiger Mann fiel schnaufend in den Sessel neben ihm und wischte sich mit einem großen Taschentuch über das erhitzte Gesicht.
    „Mannomann“, er drehte sich zu Shane, „gerade noch geschafft! Haben Sie’s auch mitgekriegt?“
    „Was?“
    „Das Beben! Ich bin gerade nach Hause gekommen, wollte mich umziehen und dann zum Flughafen. Ich steige in der Garage aus dem Wagen, da merke ich’s schon. Das Zittern unter meinen Füßen. Letzten Monat gab es schon mal so was. Ich hab’ zuerst gedacht, he, du hast den ganzen Tag gesessen, mit deinen Beinen und Füßen stimmt was nicht. Aber dann habe ich gesehen, dass die Schnüre mit denen ich ein Fahrrad an die Wand gehängt habe, sich auch bewegt haben. Und dann hat meine Frau schon gerufen!“ Er wischte sich erneut übers Gesicht. „Mann, sie hat schon ganz furchtbare Beben erlebt. Sie kommt aus Indonesien. Ich wollte erst gar nicht fliegen oder die Maschine heute nacht um halb eins nehmen, da wäre ich morgen Früh in Brisbane, aber sie hat mich weggeschickt.“ Er lächelte unbehaglich. Sicher machte er sich Vorwürfe.
    „Nein“, sagte Shane, „ich hab’ nichts gemerkt. Vielleicht weil ich im Auto war.“
    Der Mann nickte. „Na ja, hoffen wir mal, dass es nichts Schlimmeres wird.“ Er stopfte das Taschentuch umständlich in die Hosentasche zurück. „He, ich hoffe, es gibt bald was zu trinken!“ Der Mann lachte zu ihm herüber. Er sah so aus, als ob ihm noch immer die Knie zittern würden.
    Darwin lag an einer tektonisch instabilen Stelle. Schon oft hatte es Beben gegeben. Eine große Katastrophe war bisher ausgeblieben – jedenfalls , die auf ein Beben zurückzuführen war. Eine andere Katastrophe für Darwin hatte sich 1974 ereignet. Damals, am Weihnachtstag, hatte der Zyklon Tracy die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Seitdem datierte man Ereignisse auf die Zeit „vor“ oder „nach“ Tracy. Sein Vater war nach Weihnachten zur Verstärkung der Polizei nach Darwin gereist. Shane erinnerte sich an die Fernsehbilder von der Zerstörung. Man hätte sie für Bilder von einem Bombenangriff halten können.
    Ein Whisky auf Eis wäre jetzt gut, dachte er, drehte sich zum Fenster und wartete darauf, dass sich die Maschine endlich bewegte.
    „Detective Shane O’Connor?“ Eine Stewardess mit blondem Pferdeschwanz und großen Augen sah ihn an. „Bitte kommen Sie mit.“
    Sein dicker Nachbar musterte ihn skeptisch bevor er mühsam aufstand, um ihn herauszulassen.
    „Ihr Handgepäck?“
    Er deutete auf die Tasche in der Ablage. Sie nahm sie für ihn heraus. Er würde also nicht mitfliegen. War er plötzlich verdächtig geworden? Glaubte man, in seinem Handgepäck befände sich eine Bombe? Darauf gefasst, von ein paar bulligen Sicherheitsoffizieren mit kugelsicheren Westen und Maschinengewehren im Anschlag im Empfang genommen zu werden, folgte er der Stewardess nach vorn. Vor dem Cockpit, wandte sie sich um und wies auf den noch offenen Ausgang, in dem ein Mann stand.
    „Da wärst du uns doch beinah durch die Lappen gegangen, wo hast du denn dein verfluchtes Telefon, O’Connor!“
    „Tony Costarelli?“ Allein an der rauen Stimme, die den langjährigen Nikotinjunkie verriet, hätte er den braungebrannten Detective mit der großen, gebogenen Nase, dem pockennarbigen, sonnenverbrannten, breiten Gesicht und dem welligen nach hinten gekämmten, dunklen Haar erkannt. Gleich bei der ersten Begegnung vor zehn Jahren, bei einer Fortbildung, hatte Shane ihn an einen aggressiven, muskelbepackten Kampfhund erinnert, der nur darauf wartete, endlich auf den Gegner losgelassen zu werden und zubeißen zu können. Jetzt sah er ein bisschen weniger aggressiv aus. Seine Wangen waren eingefallen und seine Augen sahen müde aus. Doch noch immer schien er gut in Form, kein Bauch, muskulöse Arme. Aus dem aufgeknöpften Kragen seines bordeaux-roten Poloshirts ringelten sich dunkle Brusthaare, und eine dicke Goldkette mit einem Kreuz blitzte hervor. Der typische Italo-Cop, hatte Shane schon

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