Spurlos
Vielleicht wäre es endlich an der Zeit, darüber nachzudenken, ob er nicht woanders einen Job finden könnte. Selbst wenn er seinen Porsche verkaufen müsste … Das waren doch nur unbedeutende Dinge …
„Darling ?“
Alison fuhr auf. Ihre Mutter hatte die Hand auf ihre gelegt.
„Du kommst mir so nervös vor. War es dieses Beben vorhin? Ich gebe zu, es hat mich auch erschreckt , aber - gibt es noch irgendwas?“
„Nein, Mum, wirklich nicht!“ Sie lächelte rasch. Mein Gott, Mum, dachte sie, wenn du wüsstest. „Es ist alles in bester Ordnung! Dein Glas ist ja leer!“ Hastig hob sie den Deckel der Kühlbox, die neben ihrem Tisch stand, und nahm die von Eisbrocken und den Bierdosen für Matthew und ihren Dad verdeckte Champagnerflasche heraus. Warum tat sie sich diese Einladungen auch immer wieder an?
„Gib’ her, ich mach’ das schon!“ Ihr Vater nahm ihr die Flasche aus der Hand und drehte den Draht auf. „Ihr solltet euch endlich `nen Kühlschrank hier raus stellen. Jedes Mal, wenn wir kommen, habt ihr diesen verdammten Eski. Der ist was fürs Picknick aber nicht für `ne Terrasse! Du weißt doch Ally, was wir für einen Kühlschrank haben, so einen großen, silbernen, der würde da neben den Barbecue passen!“ Der Korken ploppte passend am Satzende.
„Du kannst uns ja nächstes Mal einen mitbringen!“, antwortete Matthew bevor Alison den Mund aufgemacht hatte.
„Mal sehen, was sich machen lässt!“, gab sein Schwiegervater gönnerhaft zurück.
Nach dem ersten Schluck wu rde der Blick ihrer Mutter sorgenvoller.
„Schätzchen, dich bedrückt doch was. Es ist doch nicht nur das Beben heute, das dich so durcheinander gebracht hat.“
„Nein, wirklich, Mum“, sie setzte ein verkrampftes Lächeln auf, „es ist wirklich nichts. Ach, übrigens, ich habe am Samstag Christine getroffen.“
Die Miene ihrer Mutter gefror. Alison überging die Veränderung.
„Ihr Job in dem Friseurladen macht ihr, glaube ich, Spaß.“
Ihre Mutter stellte abrupt das Glas ab. „Ach, Christine!“, sie schüttelte den Kopf, die senkrechte Doppelfalte zwischen ihren Augen vertiefte sich. „Warum ist sie nur so, so…“
„Anders?“
„Ja! So anders als du! Sie hätte es so leicht im Leben haben können, so wie du.“
Alison schluckte eine Bemerkung hinunter. Ihre Mutter sah für einen Moment gedankenverloren ins Leere, dann sagte sie fröhlich „Der Champagner schmeckt köstlich!“
Alison unterdrückte ein Seufzen. So war ihre Mutter. Kaum hatte sie ein heikles Thema angeschnitten, ließ sie es wieder fallen, wie eine heiße Kartoffel.
Drinnen läutete das Telefon. Endlich! Alison sprang auf und eilte durch die Küche ins Wohnzimmer, wo sie abnahm.
„ Christine, endlich! Hast du meine Nachricht bekommen?“
„Nee!“
„Ich hab’ dir auf deinen Anrufbeantworter gesprochen, dass …“
„He, hör’ ich da das Lachen von unserem witzigen Daddy?“
„Ja, Mum und Dad sind da!“
„Ah, die heile Familie!“
„Wir haben gerade von dir gesprochen!“ Sie versuchte zu besänftigen.
„Ach, was! Das ich nicht lache! Hör’ zu, Schwesterherz, es ist mir ehrlich gesagt inzwischen ziemlich egal, was ihr über mich redet, aber du solltest mal die Nachrichten anschalten.“
„Aber was …“
„Tu es einfach! Sie fangen in wenigen Sekunden an.“
Mit dem Hörer am Ohr ging Alison zum Couchtisch, auf dem neben den zwei Stapeln Hochglanzmagazinen die Fernbedienung für den Flachbildschirm lag. Die Sprecherin der Lokalnachrichten wünschte gerade einen guten Abend. Und dann kam es:
„Heute Nachmittag wurde die Leiche der sechsundzwanzigjährigen Valerie Tate gefunden.“ Nein, sie musste sich verhört haben. Es konnte nicht wahr sein. Bilder von Polizisten in Uniform und Leuten von Spurensicherung in weißen Overalls erschienen auf dem Bildschirm. Von draußen drang das laute Lachen ihres Vaters und das schrille Kichern ihrer Mutter herein.
„… auf grausamste Art“, sagte ein Sprecher der Polizei. „Jeden, der Valerie Tate kannte oder sie gestern gesehen oder sonstige auffällige Personen beobachtet hat, bitten wir, sich mit der Polizei in Darwin oder jeder anderen Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen.“
„ Alison?“ Jetzt erst realisierte sie den Hörer, den sie noch immer an ihr Ohr gepresst hielt.
„ Alison, bist du noch dran?“
„Ja.“ Sie hörte wie ihre eigene Stimme zitterte. Noch immer starrte sie in den Fernseher, obwohl schon längst die Bilder einen
Weitere Kostenlose Bücher