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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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gerade noch zur Toilette, um sich zu übergeben. Sie spülte den Mund aus, wusch sich das Gesicht und sah sich im Spiegel ins Gesicht. Wässrige, rotgeränderte Augen starrten ihr, aus einem blassen, schmalen Gesicht entgegen. Haarsträhnen klebten in der Stirn, sie strich sie mit der Hand heraus. Es musste ein Zufall sein. Ein dummer Zufall. So was gab es doch. Man wünscht sich den Tod eines Menschen - und dann verunglückt er. Wie oft hat es so was schon gegeben! Klopfen an der Tür ließ sie herumfahren.
    „ Alison, ist alles in Ordnung?“ Das war Matthew. Was sollte sie sagen? Wie sollte sie erklären, warum sie das Fernsehen angeschaltet hatte? Er würde fragen. Und sie müsste ihm von ihrem Auftrag berichten.
    „Es muss die ganze Aufregung sein. Das Erdbeben und …- ich komme gleich!“ Oh, wie sie sich selbst hasste. Sie atmete durch, putzte sich rasch die Zähne, fuhr sich durchs Haar. Sie richtete sich auf und ging hinaus.

5
    Costarelli trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Shane ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Ein drittes Mal betrachtete er auf dem Bildschirm die Fotos, er wusste, er würde sie noch viel öfter ansehen. Valerie Tate lag in einer geraden Haltung, mit auf der Brust gefalteten Händen, wie in einem Sarg. Das schrecklich: Sie war nackt - und der Mörder hatte sie ausgeweidet. Ein langer Schnitt klaffte vom Brustbein bis hinunter zum Schambein. Das alles wollte er nicht mehr sehen.
    „In ein paar Tagen wäre nicht mehr viel übrig gewesen“, sagte Costarelli, „ich meine, viel ist es ja sowieso nicht. Der Aborigine, der die Leiche gefunden hat, hat behauptet, seinen Onkel gesucht zu haben. Der hatte sich mit `nem Karton Wein in die Büsche geschlagen und kam nicht mehr. Der Alte hat vor der Leiche gesessen und sie angestarrt.“ Das Neonlicht in dem engen Büro, das zwar Fenster nach außen und eine moderne Einrichtung, wie helle Möbel aus Holz und einen sauberen Teppichboden hatte, aber dennoch stickig wirkte, brannte in Shanes Augen.
    „McNulty hat sein Opfer ebenfalls ausgeweidet.“ Costarelli spielte mit einem Stift.
    Shane legte die Bilder nebeneinander auf den Tisch. Beim Anblick von Toten war ihm bereits als junger Polizist klar geworden, dass das Wort friedlich selten zu einem Toten passte.
    „McNulty hat die Eingeweide vergraben.“
    „Unsere Leute suchen noch.“ Costarelli zeigte mit seinem kräftigen, behaarten Finger auf ein Foto. „Hier, der Schnitt in der Carotis. Er hat sie geschächtet, das Blut rauslaufen lassen.“
    Shane betrachtete die blasse Haut des Opfers.
    „Um die Leiche herum ist das Blut in den Boden gesickert.“ Costarelli kratzte sich im Nacken. „Es sieht ziemlich nach McNulty aus, was?“
    McNulty war tot.
    „Was war McNultys Motivation?“
    „Ein ausgeprägter Minderwertigkeitskomplex. Die Psychiater haben das so erklärt. Er hat unter seiner Machtlosigkeit gelitten. Er war Aborigine, hat früh Eltern und Verwandte und damit seine Wurzeln verloren, wurde hin – und hergeschubst, hat im Heim gelebt. Dann hat er sich seine Macht auf einer anderen Ebene bewiesen. Er hat sich des Innersten einer Frau bemächtigt. Stell’ dir vor, du greifst in den Körper von einem Lebewesen, reißt Lungen, Leber, Herz heraus. Es gehört alles dir.“
    Costarelli massierte seine Schläfen.
    „Okay“, Shane konzentrierte sich wieder. „McNulty war ein Einzelgänger. Keine Freunde, keine attraktive Erscheinung.
    K lein, sehnig, unscheinbar. Er machte Gelegenheitsarbeiten, und arbeitete auf Fischtrawlern. Mit dem Messer konnte er umgehen.“ Shane zwang sich, die Fotos erneut zu betrachten. Mit unglaublicher Präzision und Kaltblütigkeit war der Mörder vorgegangen. Die Bilder, die ihn vor acht Jahren – auch nach der Aufklärung des Falls - monatelang nicht in Ruhe gelassen hatten, stiegen wieder auf, nahmen von ihm Besitz und verdrängten alles andere: die Freude auf Carol, die Erinnerung an die letzten gemeinsamen Wochenenden. Präsent waren jetzt das verschlagene, hagere und dunkle gegerbte Gesicht McNultys, sein kindlich-trotziger Tonfall, sein Lispeln, die vom Meerwasser aufgerissenen Hände, die wässrigen, stets zusammengekniffenen Augen. McNulty hatte ihn mit seiner stupiden Art gereizt. Shane hatte ihn gehasst. Die Nachricht von McNultys Tod in der Psychiatrischen Anstalt hatte er mit großer Erleichterung aufgenommen. Erst dann waren die Bilder verblasst. Und jetzt stieg alles wieder hoch. Patty Benson, achtundzwanzig,

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