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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Kopfkissen. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich stets wie eine bemitleidenswerte Waise. Etwas, wonach mir gerade so gar nicht der Sinn stand. »Das ist lieb, aber überhaupt nicht nötig. Die Bushaltestelle ist ja gleich um die Ecke«, wehrte ich deshalb schnell ab. »Na gut, aber bis dorthin bringe ich dich auf jeden Fall.«
    »In Ordnung«, sagte ich, froh darüber, mich nun bald hinlegen zu können. Zu Hause würde die Sache sicher schon anders aussehen.
    Wie hätte ich auch ahnen können, dass mich dort schon die nächste Katastrophe erwartete?

2 EIN UNGEBETENER GAST
    Ich wohnte im Stadtteil Steele in einer kleinen Seitenstraße in der Nähe der Ruhr. Die Häuser hier waren groß und alt, hatten Stuckfassaden und feuchte Keller und ragten unter dem graublauen Nachmittagshimmel auf wie schlafende Ungeheuer. Unsere Wohnung lag im dritten Stock von Hausnummer 34, einem sandsteinfarbenen Bau mit Fenstersimsen im Jugendstil, und auf unserem Klingelschild stand in schnörkeliger Schrift »Farn. Gerstmann«.
    Auch das Treppenhaus wirkte mit seinen schwarz-weißen Fliesen und dem geschwungenen Geländer antik. Ein blasser Abglanz früherer Tage, der sich allerdings spätestens an unserer Wohnungstür in Luft auflöste, wo Alarmanlagen und Sicherheitsschlösser ihn zusammen mit jedem Einbrecher in die Flucht schlugen.
    »Wegen der Fische«, hatte mein Vater mir erklärt, als ich noch klein gewesen war. In unserer Wohnung standen nämlich über zwanzig Aquarien, die teils mit Salz-, teils mit Süßwasser gefüllt waren und allerlei wertvolles Meeresgetier beherbergten. (Mein Vater besaß ein Aquaristikfachgeschäft und war, damit zogen wir ihn gelegentlich auf, selbst sein bester Kunde.) Ich konnte mir zwar immer noch nicht vorstellen, welcher Einbrecher es ausgerechnet auf unsere Clownfische und Seeanemonen abgesehen haben sollte, aber mein Vater und Christabel schienen von dem Gedanken, ausgeraubt zu werden, regelrecht besessen zu sein. Andauernd modifizierten sie das Alarmsystem. Vor Kurzem hatten sie sogar unsere Fenster elektronisch gesichert und im Arbeitszimmer meines Vaters gab es eine Lichtschranke. Langsam nahm es krankhafte Züge an.
    Für die Wohnungstür allein benötigte man mittlerweile sage und schreibe fünf Schlüssel, sodass es eine Weile dauerte, bis ich sie aufbekam. Vor allem weil ich auf meinem Knie einen Korb voller Bügelwäsche balancierte, die ich aus der Waschküche mit heraufgenommen hatte.
    Schon in der Diele hörte ich ihre Stimmen.
    Erst dachte ich, Christabel würde sich wieder einen Actionfilm aus ihrer umfangreichen Sammlung ansehen. Doch dann erkannte ich, dass es nicht Jackie Chan, sondern mein Vater war, der dort im Wohnzimmer gerade von »Schutzbestimmungen« und »fragwürdigen Einschränkungen aufgrund von Gerüchten« sprach. Er klang ernst.
    War etwas mit dem Laden? Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Um diese Uhrzeit war mein Vater nie zu Hause. Plötzlich war ich wieder hellwach, ließ sowohl den Wäschekorb als auch meinen Rucksack einfach auf den Boden fallen und stürzte ins Wohnzimmer. »Ist alles in Ordnung?«
    Drei Köpfe wandten sich erschrocken in meine Richtung.
    »Oh, Engelchen, wir hatten noch gar nicht mit dir gerechnet«, sagte Christabel und war mit zwei schnellen Schritten bei mir. Sie trug wie immer einen geblümten Kittel und rosafarbene Plüschpantoffeln, aber heute saß ihre rot gefärbte Dauerwelle nicht annähernd so makellos wie sonst. Eine Locke hing ihr so verwegen ins Gesicht, dass ich mich einmal mehr fragte, wie alt sie eigentlich war. Mindestens sechzig bestimmt. Auf jeden Fall zu alt für quietschpinken Lippenstift.
    Neben Christabel wirkte mein Vater mit seinem mausbraunen Haar und der schlichten Kleidung nahezu farblos. Er war groß und schlaksig, maß beinahe zwei Meter, doch hätte er in seinem Ohrensessel nicht eine so natürliche Autorität ausgestrahlt, man hätte ihn neben seiner Haushälterin sicherlich kaum wahrgenommen.
    Allerdings waren es weder Christabels Frisur noch die aufeinandergepressten Lippen meines Vaters, die mich aus dem Konzept brachten, sondern der Junge, der es sich auf unserem Sofa bequem gemacht hatte. Aus grünen Augen sah er zu mir herüber, nein, eigentlich starrte er mich an, musterte mich, als wäre ich ein Geist. Er musste ungefähr so alt wie ich sein, war flachsblond, blass und sommersprossig, gut aussehend, auf eine seltsam kühle Art und Weise. Aber nicht mein Typ, entschied ich und fragte mich

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