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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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fühlte mich verfolgt, Tag und Nacht, hatte Albträume. Du erinnerst dich doch, oder nicht?«
    Crestina nickte zögernd. Sie wusste nicht im Einzelnen, was damals mit Lea vorgegangen war. Es war zu einer Zeit geschehen, als ihre Familie noch lebte, gut lebte, in Frieden lebte. Und das Ghetto war eine ferne, fremde Welt, von der sie nur von Zeit zu Zeit durch die Geschäfte ihres Vaters erfuhr.
    »Wir werden ein andermal darüber reden«, sagte Lea und umarmte Crestina. »Es wird dir gewiss nichts geschehen. Dieser Mensch wird dich in Ruhe lassen.«
    Dann sagte Lea, sie wolle in den nächsten Tagen vorbeikommen, um über die Bibliothek zu diskutieren, die ihr kürzlich angeboten worden war.
    »Ich könnte mir denken, dass dich die Sache vielleicht interessiert, auch wenn ich für den Augenblick noch keinesfalls weiß, wo ich die Bücher unterbringen kann, bevor ich sie katalogisiert habe.«
    Crestina sah sie mit schiefem Blick an.
    »Ja, das verstehe ich.« Sie machte eine Pause. »Natürlich wäre im Palazzo mehr als genug Platz. Aber –«
    Lea schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Lass dir Zeit mit deiner Entscheidung. Was so lang gedauert hat, kann auch noch länger warten. Es ist ohnehin eine verrückte Idee von mir, so etwas machen zu wollen. Abram würde sich fragen, ob seine Frau Lea überhaupt noch normal ist.«
    Das würden sich vermutlich noch mehr Leute fragen, wenn sie wüssten, dass Crestina Zibatti einen Palazzo besitzt, den sie vor sich hin bröckeln lässt, dachte Crestina mit schlechtem Gewissen, während sie das Ghetto verließ.

3. Cannaregio
    Wenn Crestina die Tür zu ihrer Wohnung hinter sich schloss, verließ sie das Gefühl, gejagt zu werden. Es war, als wüchse dann eine Mauer zwischen ihr und der Stadt und behüte sie vor allem, was es in dieser Republik zu fürchten gab. La bocca am allermeisten, wie sie es heute wieder erlebt hatte.
    Jetzt, da sie sich in der Dämmerung – das Licht war schon fast an den Abend abgegeben – mit dem Rücken an die geschlossene Tür lehnte, atmete sie auf. Es schien ihr, als habe sie sich retten können vor diesem Verfolger, wenn auch mit Mühe. Aber obwohl der Vorfall, der sie zu Lea geführt hatte, nun bereits Stunden zurücklag, war sie unsicher, was weiterhin geschehen würde.
    Sie zündete eine Kerze an. Es war eine ganz besondere Kerze, die sie für diese oder ähnliche Situationen aufgehoben hatte, eine große, dicke Kerze aus Bienenwachs, die noch aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Riccardo stammte, als sie in ihrer Dachkammer des Nachts miteinander gelernt hatten. Sie hatten Ovid gelesen, sich gegenseitig die Sonette von Petrarca aufgesagt, über Aristoteles diskutiert. Es war also keine Alltagskerze, mit der lediglich ein Raum zu erhellen war. Diese Kerze war etwas Besonderes, in dessen Licht man sich hineinträumen, hineinfallen lassen konnte. Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, sie befände sich noch in der gleichen Kammer wie zu jener Zeit, als sie zum ersten Mal entzündet worden war. Von Riccardo, der ihr die Kerze einst geschenkt hatte.
    Ansonsten hatte sie sich ganz bewusst eine Welt aufgebaut, die keinerlei Spuren ihres alten Heims aufzeigte, weil sie durch nichts daran erinnert werden wollte. Die wenigen Möbel, die sie besaß, hatte sie beim Trödler gekauft, zum Teil schäbiges Zeug, mit dem sie umziehen konnte, so oft sie wollte, Dinge, die keinerlei Pflege benötigten.
    Jetzt, da sie draußen den Wind toben hörte, sich vorstellte, wie das Wasser gegen die Wassertore ihres Palazzo schlagen würde und wie diese unter der Wucht des Aufschlags vermutlich nach innen gedrückt würden, sah sie alles ganz deutlich wieder vor sich: die Ankunft Bartolomeos, damals, vor mehr als fünf Jahren.
    Sie und Riccardo waren allein im Palazzo gewesen, Jacopo und Anna die einzigen Diener im Haus, da Sonntag war. Als das Wasser Bartolomeo angespült und in das Untergeschoss ihres Hauses hineingeschwemmt hatte, konnte sich zu dieser Stunde kaum jemand vorstellen, dass dieser schmächtige Junge diesen Unfall überhaupt überstehen würde. Und Jacopo hatte sich bekreuzigt und behauptet, es handle sich bei dem Angeschwemmten ganz gewiss um einen von der Behörde vergifteten, im Canale Orfano versenkten Toten. Und natürlich werde er über dieses Haus Unglück bringen, hatte er prophezeit.
    Seitdem war viel Zeit vergangen, Jahre, an die sich Crestina trotz alledem mit einer Genauigkeit erinnerte, als habe sie darüber Buch geführt. Sie hatte sich

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