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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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in jener Zeit, in der sie sich durch die Stadtteile hindurchgewohnt hatte, war es ihr immer wichtig gewesen, am Wasser zu bleiben, weil der Geruch sie faszinierte und Heimatgefühle weckte.
    Eine Zeit lang hatte sie sogar auf der Insel Giudecca gelebt, in einem kleinen Haus, in dem die Frau eines Fischers wohnte, der auf dem Meer geblieben war. Sie hatte dort in einer winzigen Kammer gehaust und geholfen, die zerrissenen Netze zu flicken, die es ständig gab. Der Sohn des Fischers hatte sie verehrt, begehrt, hatte anklingen lassen, dass er sich vorstellen könne, sie bliebe für immer hier in seiner Welt. Aber es war klar, dass er vor ihr zurückgeschreckt wäre, wenn er gewusst hätte, wer sie war. Sie hatte nie jemandem gesagt, woher sie kam und wie ihr Leben in den letzten Jahren verlaufen war. Sie war für ihre Umwelt nichts weiter als eine Frau, die Korrekturen für eine Druckerei ausführte. Dass sie Ovid übersetzte und Horaz, hatte sie immer streng verschwiegen.
    Als sie an diesem Abend, nach dem Besuch bei Lea, in ihrem Bett lag, überlegte sie, ob es nicht an der Zeit wäre für einen Besuch bei der limonaia, den sie schon ziemlich lange vor sich hergeschoben hatte. Sobald sich das Wetter gebessert haben würde, könnte sie hingehen. Sie brauchte nur ihr Boot – das sie sich bereits vor geraumer Zeit zugelegt hatte, um unabhängig zu sein – an der Mole loszumachen, dann ein Stück die Brenta hinaufzufahren in die Gegend, in der die reichen Venezianer ihre Sommerhäuser besaßen.
    Und sie war glücklich darüber, dass sie inzwischen nicht mehr die Sperre überwinden musste, die sie zu Beginn auch diesem kleinen Haus gegenüber empfand, da sich immerhin auch hier ein Stück ihres Lebens abgespielt hatte, an das sie nicht mehr erinnert werden wollte: In der limonaia hatte ihr Vater einst jenes Gespräch mit dem Mann geführt, der sie hatte heiraten wollen. Er hatte sie an diesen Mann ›verschachert‹, wie es ihr damals schien, für eine Mitgift von eintausendzweihundertfünfzig Reichsgulden in bar, vierhundertfünfzig Gulden für Schmuck und das Gleiche nochmals für Kleider. Sie erinnerte sich genau, dass sie an diesem Abend die limonaia sogar verflucht hatte und ihr vor Verzweiflung vorwarf, dass sie, die limonaia, geschändet worden sei durch diesen Akt des Verkaufes der Tochter an einen ungeliebten Mann. Einen Nichtvenezianer, einen Nürnberger, den Sohn eines Safranhändlers, mit dem der Vater Geschäfte machte.
    Aber auch dieses Ereignis war irgendwann in dem dicken Geflecht von bösen Erinnerungen versunken. Sie hatte sich irgendwann, wenn auch mehr als mühsam, hinübergerettet in die Welt der Normalität, eine Welt, in der Begriffe wie Pest, Riccardo, Testamente, Bartolomeo, esecutori contro la bestemmia, Palazzo, korrupte Advokaten, meist nur noch spärlich auftauchten.
    Zumindest bildete sie sich das ein. Wenn es Tag war.
    Bei Nacht galten andere Gesetze.

4. In den Gärten von San Giorgio
    Crestina hatte Leonardo, Riccardos Freund, seit mindestens fünf Monaten nicht mehr gesehen. Er hatte sie zweimal gebeten zu ihrem alten geheimen Treffpunkt der Buchhändler in den Gärten von San Giorgio zu kommen, aber sie hatte abgelehnt. Mehr oder weniger deshalb, weil sie es satt hatte, zu erklären, was mit ihrem Palazzo geschehen solle. Auch wenn sie glaubte, dass es für Leonardo heute wieder um nichts anderes gehen würde als genau darum, war sie hingegangen. Sie hatte sich Sorgen um Taddeo gemacht, seinen Großvater, den sie seit ihrer Kindheit liebte, als wäre es ihr eigener. Irgendwer hatte ihr neulich erzählt, dass seine Späße, die er mit den Leuten auf der Rialtobrücke machte, manchmal an die falschen Personen gerieten, wenn er damit prahlte, was die Buchhändler einst für mutige Männer gewesen seien, wie sie mit dem Index umgegangen waren und wie sie Bücher geschmuggelt hätten, als gebe es ihn nicht.
    Vor kurzem hatte sie Leonardo getroffen und ihn nach seinem Großvater gefragt, aber er hatte nur gelacht. »Du machst dir Sorgen um Taddeo? Mit ihm ist alles in Ordnung. Er plant schon jetzt seinen neunzigsten Geburtstag, obwohl es bis dahin noch zwei Jahre sind. Er sagt, falls er ihn nicht erlebe, wolle er ihn wenigstens in Gedanken vorweg erlebt haben: mit neunzig Fackeln, neunzig schönen Frauen, neunzig geschmückten Booten auf dem Kanal und einem Feuerwerk, wie es nie eines zuvor gab. Und – natürlich mit Unterbrechungen – neunzig Minuten lang. Und im Übrigen ist er

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