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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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und ob es überhaupt als solches zu bezeichnen war, nun nicht mehr sein Geheimnis bleiben konnte. Es würde bekannt werden. Wie bekannt und welche Auswirkungen es haben würde für den Betreffenden, war in diesem Augenblick nicht abzusehen. Ob eine Geldstrafe, Kerker, Verbannung, die Galeere oder gar eine Zurschaustellung seines gemarterten Körpers an einer dieser beiden Säulen auf der piazzetta, blieb ungewiss. Gewiss war nur, dass dieser Mann für seine Tat Geld bekommen würde: fünfhundert Dukaten waren es insgesamt, die seine Behörde für diesen ›Dienst‹ zur Verfügung stellte. Wenn es zum Prozess kam, wurde die Summe dreigeteilt – ein Drittel für die Republik, ein Drittel für die esecutori contro la bestemmia und ein Drittel für denjenigen, der das Unheil in Gang gebracht hatte.
    Der Mann, den sie für Bartolomeo hielt, musste seiner Sache sicher sein. Er hatte das Papier mit aller Gelassenheit und Selbstverständlichkeit in diese bocca geworfen. Er hatte sich weder zuvor noch danach umgesehen, ob ihn vielleicht jemand beobachtete. Er hatte seine ›Pflicht‹ getan als Bürger dieser Stadt, die sich die Kosten für irgendwelche Polizisten sparte: Die gesamte Stadt bestand aus Polizisten. Polizisten, die bereit waren, ebenfalls ihre Pflicht zu tun. Vermutlich nicht unbedingt wegen des Geldes, sondern weil sie glaubten, dass alles so seine Richtigkeit hatte. Vor allen Dingen dann, wenn man anschließend in die Kirche ging. So, wie es dieser Mann jetzt tat.
    Sie schloss die Augen, aber sie konnte hinter den geschlossenen Lidern sehen, wie alles ablief. Sie konnte sehen, wie er in die Kirche hineinhastete, dabei geschickt den unebenen Stellen des Bodens ausweichend. Sie sah, wie er das Kreuz schlug, sich dann zum Beten niederkniete. Nicht vor dem Hauptaltar, sondern vor einem der Nebenaltäre, die zu dieser Zeit meist weniger besucht waren. Und sie fragte sich, was dieser Mann dort zu beten hatte. Ob er überhaupt betete oder nicht lediglich im Geiste bereits die Dukaten zählte, die ihm für seine Dienste zuteil wurden. Und sie fragte sich, was er damit zu tun gedachte.
    Als sie schließlich weiterging, wie an einem unsichtbaren Faden gezogen den Weg zum Ghetto einschlug, spürte sie, dass sie zu frösteln begann. Sie hatte geglaubt, es hinter sich gelassen zu haben und hatte sich immer wieder laut vorgesagt, dass es vorüber war nach dieser langen Zeit, dass sie gerettet war. Aber sie erkannte jetzt, dass es ihr noch immer nicht gelang, den Bildern jener Zeit zu entrinnen, die ungehemmt auf sie einstürmten. Ihre Gedanken stürzten wie eine Affenherde auf sie zu, ließen sich nicht abwimmeln. Sie fühlte wieder, wie ihr der Schweiß ausbrach und in dünnen Rinnsalen den Rücken hinablief, wie er ihre chemisette durchwaberte, dann zu ihrem Hals hinaufkroch und sich schließlich der darüber liegenden Kleidungsstücke bemächtigte, sodass sie irgendwann das Gefühl hatte, jedermann müsse ihr nun ansehen, dass sie wie ein Säugling von Kopf bis Fuß eingenässt war.
    Und dabei war sie nicht einmal ganz sicher, ob sie in ihrem Entsetzen überhaupt richtig hingesehen hatte. Ob der Umhang wirklich eine bautta gewesen war oder nicht doch vielleicht eine einfache Kutte. Der Dreispitz vielleicht nur ein Barett, wie es Tausende von Venezianern trugen, und die Maske, die er ganz offensichtlich nicht einmal vermisste, etwa Teil eines Kostüms vom carnevale, der bald bevorstand.
    Aber was immer er auch getragen haben mochte, es machte für sie keinen Unterschied, falls es sich wirklich um Bartolomeo handelte.
    Er war in der Stadt, und nur das zählte.
    Und er würde sie ganz gewiss finden.
    Ganz gleich, wie gut sie sich auch verstecken mochte.

2. Der Chazer
    Sie schlug den Weg ins Ghetto ein, das sie den Chazer nannten.
    Sie ging die verschnörkelten, schmalen colli entlang, ohne lange darüber nachzudenken, ob sie dies überhaupt wollte, jetzt wollte. Als sie die Hälfte des Wegs hinter sich gebracht hatte, bemerkte sie, dass sie nicht ging – sie hastete, an manchen Stellen rannte sie sogar. So, als sei dieser Mann, den sie soeben gesichtet hatte, kein Mensch, sondern irgendein Ungeheuer aus der Urzeit, das sich in ihre heutige Zeit eingeschlichen hatte, um nach geeigneten Opfern zu suchen. Nicht wahllos, sondern nach einem ganz bestimmten Plan.
    Als sie die Brücke des San Girolamo überschritten und den in dem Häuschen sitzenden Männern erklärt hatte, dass sie lediglich einen Besuch machen wollte,

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