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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Aaron stumm einen entnervten Blick zu. Sie kannten den rüden Ton Priestleys zur Genüge. In der Spinnerei des Unternehmers Mr Henry Ashworth, des viertgrößten Unternehmens der Stadt, war kein Platz für Freundlichkeiten. Aber das war in ganz Manchester nicht der Fall. In dieser Stadt zählten nur drei Dinge: Zeit, Geld und Produktionskraft. Die Dampfmaschinen gaben dazu den Takt an. Unaufhörlich war rund um die Uhr ihr Hämmern und Fauchen zu hören, klebte ihr stinkender Atem in der Luft und füllte die Lungen der Menschen. Die feurigen Kolosse trieben die Maschinen an, von denen Tausende, ja Abertausende kreischend, jaulend, ratternd in den zahllosen Fabriken Garn spannen und billige Stoffe webten. Ihr höllengleiches Geschrei bohrte sich in den verrußten Himmel, beleidigte den Schöpfer und verspottete die Menschen, die auf den dreckverschmierten Gassen und Hinterhöfen wie Gewürm umherkrochen.

    Aaron widmete sich schweigend weiter seiner Arbeit. Er würde Cathy, die im Stockwerk über ihm an den Speed. Frames 4 arbeitete, sagen müssen, dass er noch bei den McGillans vorbeischauen wolle. Aber das hatte Zeit bis zur Pause.
    ***
    »Es ist mir eine Ehre, Mrs Fountley!« Henry Ashworth breitete in herzlicher Begrüßungsfreude die Arme aus. »Wie schön, dass Sie Mr Fountley dazu überreden konnten, hierherzuziehen. Ich hoffe, Queens Park sagt Ihnen beiden zu. Eine herrliche Landschaft! Und kaum eine halbe Reisestunde von unserem rußigen Manchester entfernt. So leidet man auch nicht unter den Unannehmlichkeiten des Stadtlebens, nicht wahr?«
    Mrs Mary-Ann Fountley, zweite Tochter des Earls of Branford und seit mehr als einem Jahr glücklich verheiratet mit the right honourable Godfrey Fountley, lächelte ihrem Gast mindestens ebenso wohlwollend zu: »Ja, es ist wirklich entzückend hier. Mein Mann und ich sind überglücklich, dass es uns gelungen ist, das Anwesen zu mieten. Der Inhaber ist nach Indien gegangen, wie man uns mitteilte. Aber das wissen Sie ja zweifellos. Schließlich haben Sie die Sache mit eingefädelt.« Sie zwinkerte Mr Ashworth verschwörerisch zu. In der Tat war es kein großes Stück Arbeit gewesen, ihren Gatten zum Umzug nach Manchester zu bewegen. Er fühlte sich weder im überfüllten und hektischen London noch auf dem Stammsitz der Tountons wohl, da er dort unter der argwöhnischen, ja geradezu feindseligen Beobachtung seines Vaters, des Barons of Tounton, stand. Die Situation dort war schließlich unerträglich geworden für alle Beteiligten. Und das nicht erst, seit sich Godfrey, neben seiner Tätigkeit als ambitionierter Wirtschaftsjurist, mehr und mehr politisch engagierte. Es waren vor allem die unterschiedlichen politischen Ansichten, die zu den unangenehmen Spannungen zwischen dem Baron und seinem Sohn geführt hatten. Dabei hätte ihr Schwiegervater sich doch darüber freuen können, dass Godfrey der heftigen Werbung von Seiten der Whigs nicht nachgegeben hatte und bei den Torys geblieben war – dem politischen Lager, dem auch sein Vater seit Jahr und Tag angehörte.Eine sehr weise Entscheidung, da im Herbst des vergangenen Jahres die Torys die Wahl gewonnen hatten und nun wieder die Machtverhältnisse im Unterhaus dominierten, trotz dieser unsäglichen Hofdamengeschichte 5 , die diese unfähige junge Königin zu verantworten hatte. Doch es waren die sehr liberalen Ansichten, die Godfrey wie auch sie selbst, Mary-Ann, vertraten, die dem alten Baron täglich die Zornesröte ins Gesicht getrieben hatten.
    »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Godfrey noch nicht zurück ist von seiner Besprechung in der Stadt. Er wollte eigentlich vor der Teezeit wieder zu Hause sein, aber nun ist wohl doch etwas dazwischengekommen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, nur mit meiner Gesellschaft vorliebzunehmen.«
    »Selbstverständlich nicht, verehrte Mrs Fountley. Es ist mir im Gegenteil ein außerordentliches Vergnügen. Schließlich hat man nicht alle Tage die Gelegenheit, mit einer so überraschend gebildeten Dame ein Gespräch zu führen.«
    Mrs Fountleys Dank für dieses Kompliment fiel etwas verhalten aus. Erstens empfand sie ein gewisses Bedauern darüber, dass der Gast ihr Aussehen als überhaupt nicht erwähnenswert betrachtete, obwohl dessen wohlwollende Erwähnung (wenn auch nur der Höflichkeit halber) leider nicht den Tatsachen entsprochen hätte. Zweitens störte sie der Umstand, dass er Bildung – insbesondere politische Bildung – in der Damenwelt wie die meisten

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